Wer schön sein will, muss sterben
Chor von »psst« war vom Schwesternzimmer zu hören, gefolgt von dem Geräusch hochhackiger Schuhe, die schnell den Flur entlangliefen.
»Hi Mom«, sagte ich, als sie ins Zimmer stürzte.
In ihren Augen waren Tränen. »Oh, Gott sei Dank«, sagte sie und nahm wieder den Platz neben meinem Bett ein. »Ich war … wir waren alle … Gott sei Dank kannst du sprechen. Wie kam das? Wann? Oh, Gott sei Dank, Gott sei Dank.«
»Plötzlich im Badezimmer hatte ich meine Stimme einfach wieder.« Das war nicht ganz gelogen. Meine Mutter sah meine Hand an. »Nur meine Stimme. Ich kann mich immer noch nicht bewegen.«
»Das reicht fürs Erste«, sagte Joe herzlich. »Wir werden uns einfach gedulden, und du wirst ruck, zuck wieder gesund sein.«
Ich konnte mich zwar nicht bewegen, aber ich konnte doch spüren, wie Zorn in mir hochstieg. »Wie willst du das wissen? Hast du einen medizinischen Abschluss gemacht, während ich unter der Dusche war?«
»Jane!«, sagte meine Mutter warnend. »Es gibt keinen Grund, grob zu sein.«
Ein leises Klopfen an der Tür ersparte mir den Rest dessen, was sie sagen wollte, und eine Frau mit dunklen Haaren in marineblauer Polizeiuniform trat ins Zimmer. »Es tut mir leid, dass ich Sie schon belästigen muss, nachdem Sie gerade wieder zu sich gekommen sind«, sagte sie, »aber ich habe ein paar Fragen, die uns helfen könnten, herauszufinden, wer Ihnen das angetan hat.« Sie machte einen kompetenten und ordentlichen Eindruck, vom Haarknoten bis zum klaren Lack auf ihren kurzen Fingernägeln.
Meine Mutter nahm jetzt ihre Respekt einflößende Haltung an. »Officer …«
»Rowley, Ma’am.«
»Officer Rowley, meine Tochter ist gerade aus dem Koma erwacht.« Ich hatte das Gefühl, als würde sie es auskosten, das Wort auszusprechen. Ich konnte schon hören, wie sie es für Cocktailpartys ausspann, wie sie die Geschichte benutzte, um hervorzuheben, wie tapfer und kompetent sie war. »Es ist jetzt wohl kaum die Zeit, um sie zu verhören.«
»Ich weiß, Ma’am, aber Ihre Tochter ist die Einzige, die uns helfen kann, herauszufinden, was ihr geschehen ist. Wir brauchen dringend so viele Informationen wie möglich, so schnell wir können. Und Dr. Connolly sagt, wenn sie sprechen kann, sei ihre Tochter auch in der Lage, Fragen zu beantworten.« Sie wandte sich an mich. »Erinnern Sie sich, warum Sie so spät am Abend alleine draußen unterwegs waren?«
Draußen unterwegs? Allein? Ich erinnerte mich an nichts. Mein Kopf war völlig leer. »Nein.«
»Gab es einen bestimmten Grund, warum Sie gerade die Dove Street entlanggegangen sind?«
Dove Street? Nie gehört. »Nein. Wo ist das? Ist das hier in der Nähe?«
Meine Mutter presste die Lippen aufeinander und schluckte. »Dr. Connolly sagt, dass der Gedächtnisverlust normal ist und dass sie ihr Gedächtnis vermutlich bald wiedererlangt. Er ist einer der besten Ärzte im Land.«
Das reichte. »Hör auf zu behaupten, mit mir wäre alles normal und dass ich wieder gesund werde«, sagte ich und hob die Stimme. Sie zitterte. »Du weißt es nicht. Du willst dich nur selbst beruhigen. Ich bin gelähmt, Mutter.
Gelähmt.
Sieh mich ein einziges Mal an. Sieh
mich
, so wie ich wirklich bin.«
Die Lippen meiner Mutter zitterten. »Jane. Sag so was nicht. Das hier bist nicht du. Das geht vorbei.«
»Das weißt du nicht. Du weißt nicht, was werden wird. Niemand weiß es. Ich könnte für immer so bleiben.« Ich schmeckte salzige Tränen auf der Zunge.
»Jane, bitte. Nicht jetzt.«
»Was spielt der Zeitpunkt für eine Rolle? Warum nicht um« – meine Augen wanderten zur Uhr – »zehn nach drei? Ist um Viertel nach vier besser? Siebenundzwanzig Minuten nach fünf? Jeder kann sehen, dass ich in einem fürchterlichen Zustand bin. Das sind wir alle.«
Tränen glänzten in den Augen meiner Mutter. »Warum tust du das?«
»Warum du?«, fragte ich zurück.
So hatten ungefähr hundert Streitgespräche angefangen, die wir in den vergangenen zwei Jahren geführt hatten. »Ich versuche, das Beste für uns zu tun, Jane. Für uns alle. Warum bist du so wütend auf mich?«, würde sie fragen, und ich würde zurückschießen: »Warum bist du so wütend auf
mich
?«
Und wir würden uns so ansehen, als würden wir jemanden auf der Straße sehen, den wir zu erkennen glauben, uns aber nicht sicher sind. Jemand, von dem man sich von ganzem Herzen wünscht, dass er es ist, aber in Wirklichkeit ist er nur ein Fremder. Und man fühlt eine Art tiefe Sehnsucht, die schmerzt
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