Wer schön sein will, muss sterben
tun wollten.
Wir.
Ich sehnte mich nach dem
Wir
, hasste mein
Ich
. Ich war einsam und ungebunden und verlassen und ungeliebt. Nicht liebenswert.
Mir war, als würde ich krank werden.
Es klingelte wiederholt zur vierten Stunde, aber ich konnte einfach nicht hingehen. Deshalb tat ich das Einzige, was mir einfiel: Ich ging auf die Mädchentoilette und schloss mich in einer Kabine ein.
Ich hatte ungefähr eine Minute auf dem Toilettendeckel gesessen, als ich bemerkte, dass jemand anders direkt neben mir genau dasselbe tat. Nur hörte es sich an, als würde sie hyperventilieren.
»Bist du okay?«, fragte ich.
Jemand hielt erschrocken die Luft an. »Ich wusste nicht, dass jemand hier ist.«
»Ist ja auch keiner.«
»Hm, aber du bist hier? Du bist doch jemand?«
»Nicht hier.« Ich wollte es eigentlich zu mir selbst sagen, aber es rutschte mir heraus. Es war ein Fehler, vor dem mir graute: das Falsche zu sagen und unsicher zu wirken.
Nebenan scharrten Füße an der Tür und eine gebräunte Hand mit zwei goldenen Ringen, die zu einem mit grauem Kaschmirstrick bekleideten Arm gehörte, erschien über der Kabine. Es folgte ein perfekt oval geformter Kopf mit lockiger Mähne in der Farbe guten Brandys, gekonnt wuschelig zurückgesteckt, wie es nur die Leute im Fernsehen hinbekommen, und die von Natur aus umwerfend Gutaussehenden. Die Art Mädchen, die nicht mal merken, dass sie beliebt sind, weil sie es immer gewesen sind. Ich hatte sie an dem Tag schon im Englischunterricht bemerkt, umringt von einer Gruppe anderer Mädchen, die alle lautstark um ihre Aufmerksamkeit stritten. Sie trug eine graue Tunika mit einem verzierten Ledergürtel, den ich in der Septemberausgabe der Vogue meiner Mutter gesehen hatte.
»Ich heiße Kate?«, sagte sie, fast, als wäre es eine Frage. Inzwischen weiß ich, dass sie die Dinge immer so ausdrückt. Sie streckte mir ihre Hand entgegen. »Wer bist du?«
Ich stand von der Toilette auf und schüttelte sie. »Ich heiße Jane. Wir haben zusammen Englisch.«
»Wirklich?« Ihre Augen wanderten zur Decke, als versuchte sie, eine Erinnerung herbeizurufen. »Ich kann mich grad nicht erinnern …«
»Ich bin gerade erst her…«, ich unterbrach mich, denn die Lippen des Mädchens begannen zu zittern, und sie blinzelte, als müsste sie gleich weinen. »Alles okay mit dir?«
Plötzlich begann sie zu weinen. Ohne nachzudenken, legte ich meine Hand auf die ihre, um sie zu trösten.
Sie erstarrte und atmete tief ein. Ich zog mich zurück. »Tut mir leid. Ich wollte nicht …«
Sie klopfte auf die Tränen auf ihrem Gesicht. »Nein, mir tut es leid. Das war unpassend.« Sie blinzelte. »Ich komm jetzt runter« – sie deutete mit den Fingern zum Boden – »und geh dann?«
»Ja. Ich auch.«
Wir stiegen beide von den Toiletten. Ich langte hinüber und drückte die Spültaste, obwohl ich nichts gemacht hatte, und kam mir im nächsten Moment schrecklich blöd vor, denn was, wenn sie wirklich dachte, dass ich etwas gemacht hatte? Und ich hätte die ganze Zeit da gesessen? Genau so was machen Versager.
Ich öffnete die Tür, ging hinaus und stellte mich neben sie ans Waschbecken. Zumindest konnte ich so tun, als wäre mir Hygiene wichtig. Während ich mir die Hände wusch, dachte ich, dass Bonnie vielleicht doch recht gehabt hatte, was Beliebtheit betraf. Vielleicht spielte sich alles hauptsächlich auf der Toilette ab, vielleicht …
»Ich glaube, sie sind jetzt sauber?«, sagte Kate und deutete mit dem Kopf auf meine Hände. Sie war ungefähr dreißig Zentimeter größer als ich, obwohl ihre braunen kniehohen Stiefel ganz flach waren.
»Oh, stimmt. Ich wollte nur …«
Und dann brach sie wieder in Tränen aus. Nur diesmal warf sie sich in meine Arme. Ich umarmte sie, und sie ließ es zu. Sie weinte einige Minuten, dann ließ das Beben ihres Körpers nach.
Sie trat zurück. Plötzlich erschien mir meine Aufmachung – das marineblaue Sweatkleid mit Puffärmeln, Strumpfhose und knöchelhohe Stiefel, die ich heute Morgen beim Anziehen noch cool fand –, übertrieben und altmodisch. Als ich von meinem Gesicht – blass, oval, blaue Augen, rosa Lippen, dunkle Schatten unter den Augen vom Wodka und die missglückte Reihe dunkler Ponystoppeln – zu ihrem sah – perfekt, obwohl sie gerade geheult hatte –, erfasste mich eine Welle von Panik und Unsicherheit. Es machte die Sache nicht besser, dass sie sagte: »Warum bist du nicht gegangen?«
Diesmal war es bestimmt eine Frage und keine freundliche.
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