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Wer schön sein will, muss sterben

Wer schön sein will, muss sterben

Titel: Wer schön sein will, muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michele Jaffe
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griff sich mit den Fingern an einen Schnitt an ihren sonst perfekten rosa Lippen. »Aber vielleicht schützt du dich unbewusst vor irgendetwas? Vielleicht ist es besser, wenn du es nicht weißt?«
    »Was ist mit deiner Lippe?«
    »Meine Lippe?« Sie blickte erschrocken und nahm die Hand weg, starrte sie an, als hätte sie sie vorher noch nie gesehen. »Oh, nichts, meine Schwester ist zu schnell aufgestanden und mit dem Kopf gegen meine Lippe geknallt.« Sie lächelte. »Warum machst du dir Sorgen um mich? Du sollst nur daran denken, gesund zu werden, damit wir den ganzen Sommer lang zusammen am Strand liegen und uns bräunen lassen können.« Als hätte sie nicht schon von Natur aus den perfekten Goldton. »Weißt du noch, letzten Sommer, als wir den Delphin direkt vor unserem Haus gesehen haben?«
    »Das war toll. Die ganze Woche war toll.«
    Sie fuhr mit dem Finger den Arm der Puppe hinunter. »Ja, das war es wirklich.«

    Langley war den ganzen Sommer in Schottland gewesen, und Kate und ich hatten viel Zeit miteinander verbracht, was echt super gewesen war. Ich lernte ihren absolut komischen Sinn für Humor kennen, der unter ihrer unbekümmerten Oberfläche brodelte, und bekam einen Einblick in ihr chaotisches Familienleben. Der ganze Haushalt drehte sich um ihren Vater und seine Arbeit, aber er war nur am Wochenende da. Wenn er zu Hause war, war es wie Showtime und jeder hatte seine Rolle. Wenn er nicht da war, konnte jeder er selbst sein. Zuerst staunte ich über die Tatsache, dass niemand einen Fehler machte oder sich untypisch benahm, wenn der Reverend zu Hause war. Anders als Davids Vater, der sein Missfallen durch körperliche Gewalt zeigte, schlugen die Valentis ihre Kinder nicht. Wenn sich der Reverend über jemanden ärgerte, entzog er ihm seine Zuneigung. Er wurde für ihn unsichtbar. Das klingt schmerzlos, aber Kates angestrengte Bemühungen und ihre Anspannung legten nahe, dass die Art der Bestrafung viel schlimmer war, als ich es mir vorstellen konnte.
    Es half mir auch zu verstehen, was ich gesehen hatte, als wir uns zum ersten Mal auf der Toilette begegnet waren, und mir wurde bewusst, dass sie eine viel bessere Schauspielerin war, als alle dachten. Ich schätzte mich glücklich, dass ich die Chance hatte, all das zu erfahren, aber noch glücklicher, als ihre Eltern in der vorletzten Ferienwoche mit ihren jüngeren Schwestern wegfuhren und uns anboten, allein im Strandhaus zu wohnen.
    Ich war besonders froh, weil meine Mutter und Joe sich trotz meines Widerspruchs gerade verlobt hatten. Und es war die Woche, in der wir in das Château zogen (auch trotz meines Widerspruchs). Oder, wie Joe es gerne ausdrückte, »betrachte es nicht als Umziehen, sondern betrachte es als Gewinn eines Stiefvaters, eines Pools, eines Gartens mit Fontäne und eines Game Rooms, in dem du alle deine Freunde unterhalten kannst.«
    »Was, kein Streichelzoo?«
    »Willst du einen?« Joe meinte es ernst. Er griff nach den Plänen. »Würde hinten in den Garten passen.«
    Meine Mutter biss die Zähne zusammen. »Jane, bitte.«
    Je seltener ich bei ihnen sein musste, desto besser. Es schien niemanden zu stören, dass ich nicht half, ich gehörte wohl nicht zur Familie.
    Eine ganze Woche lang hatten Kate und ich nichts weiter gemacht, als tagsüber am Pool oder am Strand herumzuliegen und abends fernzusehen. Ich erlebte Kate so entspannt wie noch nie, und ich war so entspannt wie noch nie, seit wir nach New Jersey gezogen waren. Zwei Nächte bevor alle zurückkamen, schnappten wir uns das 67 er Cadillac Eldorado Cabrio ihres Vaters, sein ganzer Stolz und seine ganze Freude, um in der Stadt herumzufahren. Dann parkten wir am Ende einer Sackgasse, die einen phantastischen Ausblick über das Meer bot. Es war ein Mittwoch, was bedeutete, dass es dort wie ausgestorben war – nur wir, der weite Himmel und der Vollmond.
    Im Radio lief ein Achtziger-Jahre-Sender und spielte ›You Shook Me All Night Long‹. Kate griff nach dem Strohhut, den wir uns zusammen gekauft hatten, kletterte über die Windschutzscheibe und stellte sich auf die Haube. Die Füße auseinander, die Arme weit geöffnet und den Kopf zurückgeworfen, begann sie zu tanzen.
    Ich holte meine Kamera heraus, um ein Foto zu machen.
    »Nein, leg deine Kamera weg und tanz mit mir.« Sie streckte die Hand aus, ließ den Hut los, und der Wind erfasste ihn und fegte ihn von ihrem Kopf in Richtung Strand.
    Ihr Mund formte ein witziges ›O‹, sie lachte und rief: »Wer ihn findet,

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