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Wer Schuld War

Titel: Wer Schuld War Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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hinhält. »Wahrscheinlich
     sind Sie Masochist«,brummt er und fügt hinzu: »Oder Sie haben mehr Angst vor Ihrem Schreibtisch als vor mir«. Worauf Klaus »Letzteres« sagt und
     dann das ausgedruckte Schreiben überfliegt, in dem es um Paul Dahl geht und um ein subdurales Hämatom am Hinterkopf, das auf
     eine Schlagverletzung zurückzuführen sei. »Ist er daran gestorben?«, fragte er.
    »Steht alles im Bericht.«
    »Aber wir sitzen ja jetzt hier. Wir können reden. Sie und ich.«
    Graf sieht ihn voller Widerwillen an und fügt sich dann doch. »Der Schlaganfall ist davor oder danach eingetreten, das lässt
     sich nicht mehr feststellen. Daran ist er gestorben. Die Verletzung war nur marginal. Hätte maximal eine Gehirnerschütterung
     ergeben.«
    »Der Schlaganfall passierte aufgrund der Verletzung?«
    »Das ist nicht sicher.«
    »Also wäre er auf jeden Fall gestorben.«
    »Das stimmt so nun auch wieder nicht, selbst wenn wir letztlich davon ausgehen. Er hätte gerettet werden können, wenn jemand
     bei ihm gewesen wäre, oder wenn er selbst in der Lage gewesen wäre, den Notarzt zu alarmieren. Aber der Schlag hat ihn möglicherweise
     betäubt.«
    »Irgendwelche Splitter in der Wunde? Weitere Hämatome? Fremde Haut unter den Fingernägeln? Was ist mit dem Mageninhalt?«
    »Keine Vergiftungsanzeichen. Holzsplitter, ja, außerdem Lackreste. Ich schätze, es handelt sich um einen Hockeyschläger. Sportgeräte
     werden ja heutzutage gern genommen. Vielleicht auch einen Stuhl. Natürlich könnte er auch beim Sturz gegen eine Tischkante
     geschlagen sein.«
    »Nein. Wir haben Tisch und alle Möbel untersucht. Kein Blut, auch keines, das nachträglich abgewischt wurde. Nirgendwo in
     der Wohnung.«
    »Dann wird ein Delikt wahrscheinlicher.«
    »Heimtücke?«
    »Das müssen Sie ermitteln.«
    »Sicher.«
    »War’s das? Ich habe zu tun.«
    »Frisches Fleisch?«
    Graf fixiert ihn mit seinen schwerlidrigen Augen, einerseits penetrant, andererseits so, als würde er gleich einschlafen.
     Das ist ganz offensichtlich ein perfides Täuschungsmanöver, denn Menschen wie Graf schlafen nicht, das weiß jeder. Man kann
     ihn sich ja nicht einmal in einem Bett vorstellen, nackt oder im Schlafanzug, also ohne sein ewig gleiches Tweedjackett, seine
     aschefleckigen Bundfaltenhosen, seine grauen, ausgeleierten Wollpullover.
    »Wenn Sie das was angeht, erfahren Sie es noch früh genug.«
     
    Als Klaus das Institut für Rechtsmedizin verlässt, ist es elf Uhr morgens; ein heftiger Windstoß lässt die abgefallenen Blätter
     tanzen, Vorboten des Herbstes, der jetzt vielleicht doch endlich mit Macht kommt, die sonnigen Tage vertreibt und auf die
     dunkle Jahreszeit einstimmt. Fest steht zumindest, dass am kommenden Wochenende die Uhren wieder umgestellt werden, für Klaus,
     der den Winter hasst, ein hochsymbolischer Akt infamer staatlicher Willkür.
    Er geht ein paar lustlose, unschlüssige Schritte in Richtung seines Wagens. Graf hat vollkommen recht mit seiner Vermutung,
     er fürchte sich vor seinem Schreibtisch. Es war nicht nur der Schreibtisch, sondern das ganze Dezernat 11, die Mordkommission
     in ihrer unendlichen Schäbigkeit, mit ihren engen, gewundenen Gängen, den mit grünlich glänzender Schutzfarbe angestrichenen
     Wänden, den vergilbten Plakaten mit Eselsohren gegen Drogen-und Kindesmissbrauch und den altersschwachen Computern, die dauernd abstürzen. Und die Stadt, in ständiger Panik vor dem nächsten
     Haushaltsloch kürzt eifrig Mittel, spart Angestellte ein, bewilligt notwendiges Material nicht und legt Umbaumaßnahmen auf
     Eis.
    Hinter sich hört er eine weibliche Stimme, die hoch und jung klingt. Er dreht sich um und sieht eine Frau in einem langen
     braunen Mantel auf sich zukommen, schlank, dunkle Haare, dunkle Augen und sehr weiße Zähne, ein gutes Stück kleiner als er.
     Und es durchfährt Klaus, als sie relativ dicht vor ihm stehen bleibt, zu ihm hoch lächelt, dabei aber unendlich traurig aussieht.
    »Entschuldigung«, sagt sie. »Aber ich habe Sie gerade aus diesem Gebäude herauskommen sehen, und ich muss da hinein.«
    »Worum geht’s denn, was suchen Sie denn?«, fragt Klaus, aber natürlich kann er es sich schon denken und wappnet sich für das,
     was jetzt kommen muss.
    »Arbeiten Sie hier?«, erkundigt sich die Frau, statt zu antworten.
    »Nicht direkt.«
    »Und das heißt?«
    Ihre braunen Augen haben etwas Hypnotisches, bringen Klaus dazu, sich gleich mit Namen und Berufsbezeichnung

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