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Wer Schuld War

Titel: Wer Schuld War Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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Mantel eine Straße hinuntergeht, als gehöre sie zu ihm. Das Café, das Klaus ansteuert, ist tagsüber relativ leer
     und abends ein lautes Lokal mit sehr jungem Publikum. Es liegt an einer verkehrsreichen Kreuzung und ist zur Straßenseite
     hin verglast. Klaus mag die lockere Atmosphäre, in der er sich jünger fühlt, als er ist, und berührt leicht Pilar Ansaris
     Ellbogen, als sie über die Straße gehen. Er merkt direkt, wie ein Funke überspringt, und muss sich zwingen, ihren Arm wieder
     loszulassen, als sie auf der anderen Seite der Straße angekommen sind.
    Das Café ist kaum besucht, genau, wie er es erwartet hat, und er wählt einen Platz direkt an der Glasfront mit Blick auf die
     Straße. Sie bestellen Cappuccino (er) und Espresso macchiato (sie), und als ihre Getränke vor ihnen stehen, zieht er seinen
     blauen Notizblock heraus und beginnt behutsam mit der Befragung.
    Eine Stunde später liegt Pilars Leben vor ihm wie ein kompliziert gewebter Teppich, dessen Muster so verschlungen sind, dass
     man sie erst auf den zweiten Blick überhaupt als solche erkennen kann. Denn nachdem Pilar Ansari erst einmal ihre Wortkargheit
     überwunden hat, will sie gar nicht mehr aufhören, zu erzählen, in ihrer ganz persönlichen Chronologie, die Klaus anfangs chaotisch
     vorkommt, dann faszinierend, dann absolut bezwingend. Schließlich legt er seinen Notizblock weg und würde am liebsten vergessen,
     wer er ist und weshalb sie hier sitzen.
    Pilar Ansari ist Perserin, mit einer spanischen Mutter, und ihr Leben ist eine Abfolge von mysteriösen Abenteuern, die nach
     kühnen Erfindungen klingen, aber doch so plastisch, dass Klaus an ihren Lippen hängt, und kurz davor ist, das Denken vollkommen
     einzustellen und sich ihr ganz hinzugeben. Ihr Vater, ein hoher Militär unter dem Schah, wurde nach dessen Abdankung und Flucht
     von den Schergen der neuen Machthaber interniert und zu Tode gefoltert, berichtet Pilar Ansari in perfektem Deutsch; niemand
     habe sie anfangs ernstgenommen, die verschrobenen vollbärtigen Büßer und Beter, aber plötzlich, sagt Pilar Ansari, und man
     hört ihr noch immer die Überraschung an über das brutale Ende einer sorglosen verwöhnten Kindheit, waren die Mullahs überall,
     bevölkerten die Straßen, musterten jede unverschleierte Frau mit hasserfüllten Blicken, gaben zu verstehen, dass Leute wie
     Pilar und ihre Familie zu den Feinden des Landes zählten, und dass nichts, was sie sagten oder taten, an dieser gnadenlosen
     Einschätzung etwas ändern würde. Deutsche und amerikanische Freunde der Familie sorgten dann dafür, dass Pilar Ansari, ihr
     Bruder und ihre Mutter das Land verlassen konnten. Die Mullahs, sagt Pilar Ansari, haben unser wunderschönes Land ins Mittelalter
     zurückgeworfen, bevor sie sich in die Geschichte ihrer abenteuerlichenFlucht über Täler und Berge des Gottesstaates stürzt, die eine gute halbe Stunde in Anspruch nimmt, während eine weitere halbe
     Stunde die Schilderung einer sehr schwierigen Beziehung erfordert, einer Beziehung, die ihre ganze Kraft erfordert und schließlich
     erschöpft habe. »Deshalb habe ich Paul Dahl verlassen«, sagt sie feierlich und mit einer Miene, als sei sie nun am Ende angelangt,
     und Klaus nickt wie betäubt, denn die wichtigsten Themen haben sie ja noch nicht einmal berührt.
    »Ich müsste noch wissen, was Sie am Tag seines Todes getan haben«, sagt er beinahe schüchtern, und sie lächelt wieder, vollkommen
     ungezwungen, als sei diese Frage das Amüsanteste, was sie seit langer Zeit vernommen hat, und gleichzeitig ohne jede Relevanz.
     »Ich war mit meinem Sohn zusammen, stellen Sie sich vor. Wir haben einen Ausflug in die Berge gemacht. Es war herrlich.«
    »Einen Ausflug in die Berge? An einem ganz normalen Schultag?«
    »Natürlich erst nach der Schule. Ich habe ihn abgeholt. Um kurz nach eins. Wir sind erst abends wieder zurückgekommen.«
    »Anschließend haben Sie Herrn Dahl besucht?«
    »Ich habe ihn nicht besucht, ich wollte ihm seinen Schlüssel zurückgeben und einige Sachen von mir bei ihm abholen.«
    »Wie lange sind Sie bereits von ihm getrennt?«
    »Einige   … Wochen.«
    »Wie viele genau?«
    Es stellt sich heraus, dass der Schlussstrich bereits im Juli gezogen wurde, das ist über zwei Monate her, eine Tatsache,
     die ebenfalls nicht einfach übergangen werden kann, obwohl Klaus eigentlich nichts lieber tun würde; er will sie nicht als
     Verdächtige klassifizieren, er will sie streichen von

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