Wer Schuld War
gelesen
und mit Juliane telefoniert, die sich für heute Abend entschuldigt, weil sie mit einer Freundin essen gehen will, was Alex
sehr recht ist. Urplötzlich ist es ein gutes Gefühl, nichts zu tun zu haben, ohne Verpflichtungen zu sein. Und so schlendert
Alex, plötzlich entspannt und beinahe glücklich, nach Hause, wo er eine CD mit indianischer Flötenmusik auflegt und sich die
nächsten Stunden in ein Buch vertieft, das sich mit Schamanismus im neuen Jahrtausend beschäftigt.
Gegen elf Uhr bestellt er sich eine Gemüsepizza, die um Viertel vor zwölf geliefert wird.
Zehn Minuten nach Mitternacht klingelt sein Telefon.
Als Alex vor Pauls Haus, einem düsteren Altbau im Zentrum, ankommt, ist es fast halb eins. Er bezahlt den Taxifahrer, steigt
aus und schlägt die Autotür zu, ein Geräusch, das einen unangenehmen Hall in der leeren, dunklen Straße produziert, fast wie
eine Warnung. Alex ignoriert das, nicht immer lässt das Schicksal seine Fanfaren dröhnen, oft ist auch mal simpler Zufall
im Spiel oder eine audiovisuelle Überempfindlichkeit, und so drückt er entschlossen den Klingelknopf unter Pauls Namensschild,
woraufhin der Summer so prompt ertönt, als hätte Paul direkt hinter der Tür gewartet. Alex drückt das schwere,geschnitzte Tor auf, während drinnen eine schmutzig gelbe Deckenfunzel aufflammt, die viele Schatten macht und praktisch nichts
erhellt.
Alex steigt langsam bis in den vierten Stock.
Es riecht im ganzen Haus nach Bohnerwachs, und ihm wird ein wenig übel.
Als er oben ankommt, steht Paul schon im Türrahmen, mehr als seine Umrisse sind in der schlechten Treppenhausbeleuchtung kaum
zu erkennen, aus der Wohnung fällt dagegen erstaunlich helles, beinahe grelles Licht und umrahmt ihn wie ein Heiligenschein.
»Komm rein«, sagt er statt einer Begrüßung und weicht in den Flur zurück mit einem Ausdruck, als bereue er es, Alex angerufen
zu haben. Ein irritierender Verdacht, der Alex sofort zornig macht, denn er hatte seinerseits schließlich nicht die geringste
Lust, Paul zu treffen, ist lediglich hier, um ihm einen Gefallen zu tun. Andererseits sieht Paul wirklich hilfebedürftig aus,
mit zerrauftem Haar und blassem Gesicht und einer Fahne, die so stark ist, dass man das Gefühl bekommt, sie anfassen zu können.
»Was ist los?«, fragt Alex, weiterhin leicht gereizt, denn Paul hat am Telefon nichts erzählen wollen, ihn nur mit schwerer
Stimme eindringlich gebeten, zu ihm zu kommen, was ja, abgesehen von der Uhrzeit, auch deshalb seltsam ist, weil sie sich
doch kaum kennen.
»Gleich«, sagt Paul und geht voraus in die Küche.
»Setz dich«, befiehlt er.
»Danke.«
»Willst du etwas trinken?«
»Hast du Yogi-Tee? Oder einen anderen Kräutertee?«
»Tut mir leid. Kaffee oder Bier?«
»Nein, danke. Gar nichts. Was ist los? Fang einfach an.«
Paul nimmt ein Bier aus dem Kühlschrank und hält es Alex fragend hin; Alex schüttelt den Kopf, und Paul stelltdas Bier – zögernd, wie es Alex scheint – wieder in das Fach zurück, aus dem er es entnommen hat, woraufhin er sich seinerseits
setzt und in die Luft starrt, als hätte er vergessen, dass er Besuch hat.
»Fang an«, erinnert ihn Alex sanft.
»Ja, gleich.«
»Worum geht es?«
Paul fixiert einen Punkt knapp über Alex’ Scheitel. Seine rechte Hand trommelt einen undefinierbaren, aber erstaunlich präzisen
Rhythmus auf die Tischplatte, und Alex erinnert sich, dass Paul einmal Schlagzeuger in einer Band gewesen ist, die Band, die
einen einzigen Hit gelandet hat und dann schnell vergessen wurde. Schließlich sagt Paul: »Philipp und irgendwelche Freunde
von ihm haben ein Auto geknackt.«
»Wie bitte?«
»Es handelt sich um Barbaras Auto. Zufälligerweise.«
»Das gestohlene Portemonnaie, die neuen Schuhe …«
»Als Barbara und Manuel das Auto abgestellt haben, befanden sich die Jungs offenbar irgendwo in der Nähe, auf einem verlassenen
Grundstück direkt neben dem Parkplatz. Sie haben sich hinter ein paar Büschen versteckt und das Gespräch zwischen den beiden
mitangehört. Barbara hat von neuen Markenschuhen geredet und von ihrem Portemonnaie, das sie im Auto lassen würde, und dann
mussten sie ja eigentlich nur noch abwarten, bis die beiden losgefahren sind.«
»Wieso tut Philipp so etwas?«
»Ich weiß nicht. Er ist in so einer Clique von jungen, reichen Schnöseln, und für die ist das eine Art Abenteuerspiel.«
»Es war nicht das erste
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