Wer Schuld War
schwöre ich.«
»Woher weißt du das so genau?«
»Ich habe seinen Puls gefühlt. Da war nichts mehr.«
»Was hast du mit dem Bier gemacht? Den Zigaretten?«
Sie sieht Alex nicht an, aber sie hat das Gefühl, dass er den Kopf senkt, hört, wie er mit gepresster Stimme sagt, dass er
Pauls Kopfwunde gesäubert hat, dann die Bierflasche in den Kasten mit dem Leergut gestellt und die Zigaretten in den Müll
getan hat.
»Und den Aschenbecher sauber gemacht und den Müll mitgenommen? Und das Blut von der Stuhlkante entfernt? Mit Scheuerpulver?«
»Nein. Den Stuhl habe ich mitgenommen.«
»Mitgenommen? Wieso?
»Ich weiß nicht.«
»Niemand wäre misstrauisch geworden, wenn du denStuhl dagelassen hättest. Sie haben nur ermittelt, weil sie kein Blut gefunden haben.«
»Ich weiß.«
»Also warum?«
»Ich hatte das Gefühl, dass ich schuld war. Ich wollte nicht, dass das jemand weiß.«
»Warst du denn schuld?«
»Ich weiß nicht.«
»Wo ist der Stuhl jetzt?«
»In meiner Küche. Er macht sich gut da.«
»Du bist verrückt.«
»Ja. Wahrscheinlich.«
»Du hättest Hilfe holen müssen. Vielleicht hätte man ihn noch retten können.«
»Ich weiß.«
»Sein Tod kam dir gelegen.«
Sie kennen sich schon so lange, fast fünfzehn Jahre. Sie haben sich damals auf einer Party getroffen, und es gab ein, zwei
heiße Küsse, und danach wurden sie in beiderseitigem Einvernehmen gute, enge Freunde, so gut und eng, dass sie sich fast alles
erzählen konnten. Jedenfalls was Barbara betraf, und Barbara hatte wirklich jahrelang geglaubt, viel über Alex zu wissen,
aber sie wusste fast gar nichts.
»Warum hast du mir nichts von Philipp gesagt?«
»Ich dachte damals, es sei nicht wichtig.«
»Nicht wichtig?«
»Ich war froh, dass Pilar die ganze Verantwortung übernommen hat. Ich war abhängig, ich war pleite. Ein Kind hätte mich überfordert.«
»Und jetzt?«
»Jetzt ist alles anders. Ich könnte Philipp jetzt ein Vater sein.«
»Aber Pilar will das nicht.«
»Sie sagt, ich hätte damals die Wahl gehabt. Sie sagt, ich hätte nicht einmal in der Geburtsurkunde stehen wollen. Sie sagt,
dass Simon Philipp adoptiert hat, und dass er sich als Philipps Vater sieht und dass sie will, dass das so bleibt. Sie sagt,
sie hat genug um die Ohren.«
»Das kann ich verstehen.«
»Sie sagt, vielleicht später. Aber wann ist später? Wenn er studiert? Wenn er selber Kinder hat? Wann ist später?«
»Hör auf, Alex. Du machst es nur noch schlimmer.«
Sie hat noch so viele Fragen, Fragen, die Gina und Manuel betreffen, und Pilar und Manuel. Aber vielleicht gibt es ja gar
nicht mehr zu wissen als das, was Alex von Pilar und Gina erfahren hat, Alex, den immer alle ins Vertrauen ziehen, selbst
Leute, die ihn kaum kennen, weil er etwas an sich hat, das Leute dazu bringt, zu reden, selbst Leute, die ihn gar nicht besonders
mögen,
und sieh es doch einmal so
, denkt sie, die Wahrheit ist vielleicht ganz einfach und würde sich auch nach noch so vielen Erkundigungen nicht ändern.
Zum Beispiel die Tatsache, dass Manuel sie nicht mehr liebt, dass es einfach so aus und vorbei ist, und dass das jeden Tag
passiert, dass es keine Sicherheit gibt, nie und nirgends, aber damit würde sie sich später auseinandersetzen, allein. Sie
wird weinen, vielleicht stundenlang, vielleicht jeden Tag, wochen-, monatelang, und dann wird sie aufhören zu weinen und weiterleben
wie alle anderen auch, und so oder so wird sie nicht einsam sein, weil sie trotz all ihrer Fehler und ärgerlichen Eigenschaften
kein Typ ist, der Einsamkeit zu befürchten hat.
»Die Polizei war doch bei dir«, sagt sie. Sie setzt sich auf eine Bank in die Sonne und schließt die Augen, spürt, dass Alex
sich neben sie setzt, und überlegt wieder, ob sie Angst vor ihm haben müsste, weil er zumindest kurz davor gewesen war, Paul
anzugreifen und vielleicht umzubringen,und er sich anschließend auch nicht bemüht hat, ihn zu retten.
»Als er da war«, sagt Alex, »hatte ich alles vergessen.«
»Wer? Der Polizist?«
»Kriminalkommissar Klaus Kreitmeier. Komischer Kauz Kreitmeier.«
»Du hast ihn angelogen.«
»Ich hatte vergessen, was war. Diese ganze Nacht war wie ausgelöscht. Vielleicht lag das am Bier. Ich bin Alkohol einfach
nicht mehr gewöhnt. Erst heute ist es mir wieder eingefallen. Im Lokal, als du gefragt hast. Da ist mir eingefallen, dass
wir alle beteiligt sind an Pauls Tod.«
»Ach, komm, Alex.« Aber sie weiß, dass er recht hat,
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