Wer sich in Gefahr begibt - Granger, A: Wer sich in Gefahr begibt - A Rare Interest in Corpses
heute mitgeteilt, dass man mich in Kürze als Verstärkung nach St. Petersburg zu unserer dortigen Botschaft entsenden möchte.«
»Nach Russland!«, kreischte Mrs Parry entsetzt. Magentafarbene Seide raschelte; grüne Ohrringe tanzten aufgeregt, und das Licht glitzerte und funkelte auf sämtlichen Anhängern und Armreifen, als sie die plumpen weißen Arme hob. Die Geste mochte theatralisch ausgesehen haben, wäre ihr Entsetzen nicht so offensichtlich real gewesen.
»Das ist unmöglich! Das Klima dort ist grauenvoll! Monatelang nichts als Schnee; das Land ist voller Wölfe und Bären und verzweifelter Kosaken wie jene, die unsere Soldaten auf der Krim niedergemetzelt haben. Die Bauern sind ungeschlacht und ständig betrunken; Krankheiten herrschen allerorten, und wie willst du dich dort überhaupt unterhalten?«
Carterton beugte sich beruhigend über sie herab. »Ich werde mein Bestes tun, um mich von alldem fernzuhalten, Tante. Keine Sorge, ich denke, meine Anstellung dort wird ganz angenehm werden. St. Petersburg ist eine feine Stadt mit Theatern und Bällen. Ich werde bestimmt keinen ungeschlachten Bauern begegnen. Die russische Oberschicht ist äußerst kultiviert und gleich ob Mann oder Frau, alle sprechen ein exzellentes Französisch – jedenfalls hat man mir das erzählt.«
Doch Mrs Parry war nicht zu besänftigen, und obwohl Dr. Tibbett ihrem Neffen Frank zu Hilfe kam, beklagte sie noch immer sein Schicksal, als Simms erschien und verkündete, dass das Dinner angerichtet sei. Dr. Tibbett bot Mrs Parry seinen Arm, und das bedeutete, dass ich notgedrungen den Arm akzeptieren musste, den Frank mir reichte.
»Eigenartiger alter Knochen, nicht wahr?«, flüsterte Frank mir mit einem Nicken auf Tibbetts Rücken zu, als der Geistliche und Mrs Parry vor uns her in den Speiseraum gingen. »Kommt zweimal die Woche zum Essen hierher, spielt an zwei weiteren Tagen Whist mit Tante Parry und findet ständig eine neue Entschuldigung, um an den verbleibenden Tagen auch noch vorbeizukommen. Sie wissen sicher, was das bedeutet, oder?«
»Dass er ein Freund von Mrs Parry ist«, murmelte ich und wünschte mir, er würde nicht auf diese Weise reden, insbesondere, weil die nicht geringe Möglichkeit bestand, dass man ihn hörte.
»Keine Sorge«, sagte er, als hätte er geraten, was mir durch den Kopf ging. »Der alte Tibbett hört keine Stimme außer seiner eigenen. Meiner Meinung nach macht er Tante Julia den Hof. Na ja, viel Glück wünsche ich ihm.« Und Frank kicherte, obwohl ich nicht wusste, was daran so lustig sein mochte.
»Wann fahren Sie nach Russland, Mr Carterton?«, erkundigte ich mich.
»Autsch! Das dauert noch eine Weile. Entschuldigung, bin ich Ihnen etwa zu nahe getreten? Ich hatte gehofft, Sie wären nicht so eine Spielverderberin wie Maddie. Als Sie Tibbett vorhin fast den Kopf abgebissen haben, hatte ich die größten Hoffnungen. Enttäuschen Sie mich jetzt nicht, Miss Martin, bitte nicht.«
Er verdrehte die Augen. Das sollte wohl komisch sein.
Ich war jedoch nicht amüsiert; stattdessen erwachte meine Neugier. Wer war Maddie? Ärgerlicherweise erreichten wir just in dem Augenblick, als ich endlich eine Frage hatte, die ich ihm stellen konnte, den Speiseraum, und ich musste mich zunächst in Geduld üben.
Bald wurde offensichtlich, dass Dr. Tibbetts dröhnende Stimme den Esstisch dominierte, als er anfing, uns mit seiner Meinung über jedes Thema des Tages zu beglücken. Frank hatte großes Geschick darin, gerade ausreichend viel zu sagen, um Tibbett in Fahrt zu halten, und Mrs Parry akzeptierte jedes von Tibbetts Worten mit verzücktem Respekt. Ich musste daran denken, was Frank mir erzählt hatte, dass der alte Gentleman zweimal in der Woche zum Essen herkam und auch sonst regelmäßig zu Besuch war, und meine Stimmung sank. Da Mrs Parry ihrer Hoffnung Ausdruck verliehen hatte, ich wäre eine gute Gesellschafterin, nutzte ich die erste sich bietende Gelegenheit, um selbst das Wort zu ergreifen und Dr. Tibbett zu fragen, ob er vielleicht zufällig Pfründe in der Gegend besaß.
Ich musste erfahren, dass der gute Doktor nach seiner Priesterweihe abgesehen von einer kurzen Amtszeit als Assistenzkurator nie ein Gemeindepfarrer gewesen war. Er hatte fast sein ganzes Leben als Lehrer verbracht, in der Tat sogar als bedeutender Schulmeister. Wenn er keinen einflussreichen Gönner gehabt hatte, um seine Karriere als Pfarrer zu fördern, war es wahrscheinlich klüger gewesen, sich einem anderen
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