Wer sich in Gefahr begibt - Granger, A: Wer sich in Gefahr begibt - A Rare Interest in Corpses
Löcher. Ich zitterte bereits jetzt vor Kälte und fürchtete ernsthaft, dass ich auf dem besten Weg war zu erfrieren. Ich versuchte, mich in die Decke zu kuscheln und sie fester um mich zu ziehen, als mein Vater einen lauten Ruf ausstieß.
»Was zur Hölle …?«
Die Decke wurde weggerissen, und da kauerte ich vor ihm. Wir waren noch immer recht schnell unterwegs, und der Einspänner schwankte und schaukelte. Mein Vater zügelte das Pony nicht, sondern schnappte nur: »Was machst du hier, Lizzie?«
»Ich wollte mit dir kommen«, sagte ich.
»Pah!« Ich fühlte, dass er einige der Worte benutzen wollte, die ich vorhin auf dem Hof aufgeschnappt hatte, doch er hielt sich zurück. »Nun, jetzt musst du bleiben, wo du bist. Ich kann nicht wieder umkehren!«
»Mir ist kalt!«, sagte ich unklugerweise.
»Dann wirst du eben frieren. Wickel dich in die Decke, und reiß dich zusammen.«
Ich wusste, dass er sehr böse auf mich war. Ich hatte jedoch weniger Angst, als dass es mir leid tat, und das sagte ich ihm auch.
»Es tut dir leid? Was hat denn leidtun damit zu tun?«, fragte er.
Ich konnte seine Frage nicht beantworten, doch der Gedanke machte mir sehr zu schaffen, dass ich etwas getan hatte, was ich nicht mit einer Entschuldigung aus dem Weg räumen konnte. Gab es so schlimme Sünden, dass sie niemals verziehen wurden, ganz gleich, wie reumütig man war und wie sehr man versuchte, seinen Fehler wiedergutzumachen?
Nun, nachdem ich mich ordentlich in die Reisedecke wickeln konnte, war die Kälte nicht mehr ganz so schlimm. Der Wind zerzauste mein Haar und ließ meine Ohren brennen, doch ansonsten war mir nicht mehr annähernd so kalt wie noch wenige Minuten zuvor. Außerdem gewöhnte ich mich zusehends daran.
Wir waren bereits aus der Stadt und auf einer Landstraße unterwegs. Es war ein eigenartiges Land ringsum. In der Ferne standen Hügel, die wie Pyramiden geformt waren. Ich rieb meine Nasenspitze zwischen den Fingern, um wieder etwas Gefühl hineinzubekommen, und als ich die Hand wegnahm, sah ich, dass sie schwarz verschmiert war. Der Schmutz konnte nur aus der Luft gekommen sein. Ich wollte meinen Vater fragen, wohin genau wir fuhren, was passiert war, und ob jemand gestorben war, und wenn ja, wer und wie es passiert war; doch ich beschloss, dass es unter den gegebenen Umständen besser war zu schweigen.
Außerdem würde ich, sobald wir erst angekommen waren, all diese Dinge selbst herausfinden.
Schließlich hielten wir vor einem langgestreckten flachen Gebäude an, das von Holzhütten umringt war. Hinter dem Gebäude ragte ein Ziegelschornstein in die Höhe. Ich schaute mich neugierig um. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Die Siedlung war viel größer, als ich sie mir vorgestellt hatte, beinahe selbst eine Stadt, geschäftig, schmutzig, unaufgeräumt, mit einer Vielzahl eigenartig geformter Gebäude, deren Zweck mir rätselhaft blieb, und alles geschwärzt von Kohlenstaub. Hinter den Häusern erhob sich eine weitere der merkwürdigen Pyramiden, ein riesiger, von Menschen gemachter Abraumhügel. Frauen und Kinder kletterten über ihn wie Ameisen und suchten mühselig nach kleinen Kohlenstückchen, die sie in die Sammlung von Eimern und Körben legten, welche sie bei sich trugen. Leute kamen und gingen in befremdlichem Durcheinander, einige in Eile, andere langsam und müde. Karren wurden von abgemagerten, schmutzigen Ponys gezogen, die niemals gestriegelt wurden, und in der Nähe stand eine Gruppe von Männern, die sich leise unterhielten. Ihre Gesichter waren schwarz von Kohlenstaub, genau wie ihre Kleidung. Ich wusste, dass sie wegen irgendetwas aufgebracht und wütend waren, und zugleich schienen sie von einer Aura der Hilflosigkeit umgeben zu sein. Was auch immer es sein mochte, sie konnten nichts daran ändern.
Mein Vater sprang mit einem knappen »Warte hier, Lizzie! Beweg dich nicht vom Fleck, hast du mich verstanden?« vom Wagen.
Ich hatte keine Zeit, ihm zu versprechen, dass ich bleiben würde, wo ich war, bevor er in dem Steingebäude verschwunden war.
Nun wurde mir bewusst, dass ich selbst ebenfalls der Gegenstand neugieriger Blicke war. Ich sah mich um und entdeckte einen dünnen, drahtigen Jungen in abgerissener Kleidung, der die Zügel des Ponys hielt – ein Auftrag, den mein Vater ihm vermutlich gegeben hatte. Er war nur wenig älter als ich, soweit ich das einschätzen konnte, und er musterte mich aufmerksam. Er ließ sich Zeit dabei und schien sich nichts aus der Tatsache zu
Weitere Kostenlose Bücher