Wer sich in Gefahr begibt - Granger, A: Wer sich in Gefahr begibt - A Rare Interest in Corpses
der alte Dr. Fray, und von ihm war allseits bekannt, dass er nie vor dem Frühstück nach draußen kam, nicht einmal für einen Notfall – es sei denn, die Oberschicht war betroffen. Zusätzlich war mein Vater der gerichtlich bestellte Leichenbeschauer und wurde zu allen möglichen Fällen hinzugezogen. Ein Bote in den frühen Morgenstunden brachte meist Nachricht von einem bereits leblosen Opfer einer Schlägerei in einem Bierlokal oder einem toten Vagabunden, der am Straßenrand gefunden worden war, und selten die Kunde von den medizinischen Bedürfnissen einer schwangeren Frau, die in den letzten Wehen lag. Mit meinen kaum acht Jahren war ich mir dessen bereits sehr deutlich bewusst.
Wenn ich als ein etwas altkluges Kind erscheine, dann liegt das daran, dass ich eines war. Meine Mutter war gestorben, als ich drei gewesen war, und seither war ich in der gemeinsamen Obhut meines Vaters, unserer Haushälterin Mary Newling und meines Kindermädchens Molly Darby aufgewachsen, einem molligen, gleichgültigen, jungen Ding. Ich war schon immer durch unser Haus gestreift, die schmalen Stufen hinauf und hinunter, und hatte mich in den zahlreichen Winkeln und Erkern versteckt. Den größten Teil der Zeit war ich unbemerkt geblieben und ohne Aufsicht. Auf diese Weise hatte ich Unterhaltungen belauscht, die nicht für meine Ohren gedacht gewesen waren, und Informationen erlangt, die ganz und gar nicht für eine Person meines zarten Alters geeignet waren.
Also bestand keine Gefahr, dass jemand kommen und mich in mein Bett zurückschicken würde. Ich konnte hören, wie Molly in ihrem Bett auf der anderen Seite des Treppenabsatzes friedlich vor sich hin schnarchte. Der Besucher hätte die Haustür einschlagen können, und sie hätte nicht einmal gezuckt.
Ich mühte mich ab, das Fenster nach oben zu schieben, doch meine Arme waren zu kurz, und es gelang mir nur, es kaum einen Zoll breit zu öffnen. Das Grau der frühen Dämmerung kroch bereits über die Gipfel der Berge am Horizont, und durch den Spalt im Schiebefenster hörte ich die Stimmen, die in der kühlen, frischen Luft klar und deutlich zu verstehen waren. Mein Vater war nach unten gegangen, um die Tür zu öffnen, und unterhielt sich mit jemandem. Ich hörte ihn sagen: »Ich komme sofort. Laufen Sie schon mal nach hinten, bitte, und sagen Sie dem Stallburschen, dass er das Pony vor den Einspänner spannen soll?«
In diesem Augenblick ritt mich ein kleiner Teufel. Kein großer, böser, nur ein winziger Kobold, der um diese frühe Stunde die Daumen drehte und nichts Besseres zu tun hatte. Ich beschloss, dass ich meinen Vater begleiten würde. Das würde aufregend werden. Alllerdings würde es überhaupt nicht zur Diskussion stehen, falls ich fragte; also würde ich nicht fragen. Ich wusste, dass der Stallbursche einige Minuten benötigen würde, um das Pony ins Geschirr zu spannen, das noch neu und unvertraut und als Ersatz für unser altes Tier gekauft worden war. Das alte war eine Mähre gewesen, die nichts dagegen gehabt hatte, wenn kleine Mädchen auf ihren Rücken geklettert waren, und die aus freien Stücken rückwärts zwischen die Deichsel getreten war. Doch sie war zu alt geworden, und Vater hatte sie auf eine hübsche Farm geschickt, wo sie ihr Gnadenbrot bekam – oder jedenfalls hatte er mir das erzählt. Insgeheim wusste ich, dass das nicht stimmte und dass das Tier zum Pferdemetzger gegangen war. Trotzdem, ich wollte meinem Vater kein Unbehagen bereiten, indem ich ihn wissen ließ, dass ich schockiert und wütend war; also hatte ich so getan, als würde ich seine gut gemeinte Lüge glauben.
Ich hatte mich damals kurz gefragt, ob es stimmte, dass wir nach dem Tod in den Himmel kamen, oder ob auch wir Menschen zu irgendwas wie einem Pferdemetzger gebracht wurden, und ich tadelte mich auf der Stelle, weil der Himmel in der Bibel stand. Ich hatte Beerdigungen beigewohnt und wusste, dass es ernste und feierliche Angelegenheiten waren, bei denen viel und inbrünstig über die Hoffnung auf Wiederauferstehung und ewiges Leben geredet wurde. Leider stand in der Heiligen Schrift nichts über Ponys.
Ich hatte genickt und gesagt, dass ich hoffte, der Bauer würde dem Pony manchmal Karotten zu fressen geben, weil es sie so sehr gemocht hatte. Mein Vater war sehr erleichtert gewesen, dass ich nicht in Tränen ausgebrochen war, und sagte ja, er wäre sicher, der Bauer würde dem Tier Karotten geben. Es war ein frühes Beispiel in meinem Leben, das mir zeigte, wie
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