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Wer sich in Gefahr begibt - Granger, A: Wer sich in Gefahr begibt - A Rare Interest in Corpses

Wer sich in Gefahr begibt - Granger, A: Wer sich in Gefahr begibt - A Rare Interest in Corpses

Titel: Wer sich in Gefahr begibt - Granger, A: Wer sich in Gefahr begibt - A Rare Interest in Corpses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Granger
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mir!«
    Großhut wandte sich mit einem Ausdruck des Abscheus zur Seite. Die Männer, welche die Bahre getragen hatten, traten zurück und schauten unbehaglich und verlegen drein. Mein Vater trat ein paar Schritte vor und versuchte, tröstende Worte zu der Frau zu sprechen, doch die kreischte nur noch lauter. Wenigstens drei weitere Frauen, die ähnlich aussahen wie die Kindsmutter, tauchten von irgendwo auf, und es gelang ihnen, die jammernde Frau vom Karren zu ziehen. Jetzt nahmen die Männer den Karren wieder in die Hände und zogen ihn davon. Die Frauen folgten ihnen und stützten die trauernde Mutter in ihrer Mitte.
    Als sie außer Sicht, aber nicht außer Hörweite waren, setzte mein Vater seinen Hut wieder auf und wandte sich zu Großhut um.
    »Es wird eine gerichtliche Untersuchung zur Feststellung der Todesursache geben«, erklärte er knapp. »Sie haben mein Wort darauf. Ich werde dafür Sorge tragen, dass dieser Unfall nicht vertuscht wird.«
    Großhut schien von den Worten meines Vaters noch immer unbeeindruckt zu sein. »Tun Sie, was Sie nicht lassen können«, sagte er. »Die eigene Mutter dieses Jungen, die Frau, die dort geheult und gejammert hat – sie war es, die mir gesagt hat, der Junge wäre zehn Jahre alt. Ich habe ihr geglaubt. Es gibt keinen Leichenbeschauer in ganz England, der mir das Gegenteil beweisen kann.«
    Mit diesen Worten wandte er sich ab und kehrte ins Minenbüro zurück. Mein Vater kam zum Einspänner. Er stieg hinauf, nahm mir die Zügel aus den Händen und pfiff dem Pony zu. Ich wusste, dass er immer noch wütend war, doch ich wusste auch, dass sich sein Zorn nicht gegen mich richtete, weil ich so unartig gewesen war, mich im Wagen zu verstecken. Er richtete sich gegen andere, größere und ernstere Ziele. Ich fühlte, dass er mich wahrscheinlich gar nicht wahrnahm. Als wir das Tor passierten, bildete ich mir ein, da den Jungen zu sehen, der mir den Glücksbringer geschenkt hatte; doch ich war mir nicht sicher, auch wenn ich mich umdrehte, um nach ihm zu suchen. Falls er tatsächlich dort gestanden hatte, war er bereits wieder verschwunden.
    Wir waren schon auf halbem Weg nach Hause, bevor ich mich erkühnte zu sprechen. »Es war ein kleiner Junge, der gestorben ist«, sagte ich. »Ein sehr kleiner Junge, nicht wahr, Papa?«
    Mein Vater schaute zu mir herab, und ich glaube, ihm wurde erst in diesem Moment bewusst, dass ich da war. »Oh, Lizzie …«, sagte er. Dann, unter Kopfschütteln: »Ja, in der Tat, ein sehr kleiner Junge. Ich glaube nicht, dass er so alt war wie du.«
    »Was hat er in der Mine gemacht?«, fragte ich. »Er war doch sicher noch nicht groß genug, um nach Kohle zu graben, oder?«
    Mein Vater zog an den Zügeln, und wir kamen zum Stehen. Die Sonne war inzwischen aufgegangen, und ihre Strahlen wärmten meine Schultern. Wir hatten das Gebiet der Mine hinter uns gelassen und die Vororte der Stadt noch nicht ganz erreicht. Wir befanden uns in einer hübschen Landschaft voll grüner Hügel, und die Schlackenhalden waren nur schwache Schatten am Horizont. Alles sah so sauber und friedlich aus, dass der Schmutz des Ortes, an dem wir eben gewesen waren, und die schreckliche Szene, die ich mit eigenen Augen gesehen hatte, kaum noch wirklich erschienen. Als wäre alles nur ein schlechter Traum gewesen.
    »Er hat als Klapper gearbeitet«, sagte mein Vater. »Weißt du, was das ist, Lizzie?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Nun ja«, sagte mein Vater. »Wie soll ich dir das erklären? Warte. Die Luft unter der Erde ist sehr schlecht. Also muss irgendwie frische Luft zu den Arbeitern geführt werden. Deshalb graben sie zwei Belüftungsschächte.« Mein Vater gestikulierte mit den Händen und deutete zwei lange dünne Röhren an. »Frische Luft wird durch einen Schacht angesaugt und durch die Minengänge geführt, und die verbrauchte Luft wird durch den anderen Schacht nach draußen gedrückt. Um all das zu kontrollieren, existiert ein System von hölzernen Klapptüren. Sie werden von Kindern bedient, kleinen Jungen, die den ganzen Tag nur zu diesem Zweck dort sitzen.«
    »Im Dunkeln?«, ächzte ich zutiefst entsetzt.
    »Ja, Lizzie, im Dunkeln.«
    »Ganz allein?«
    »Ganz allein.«
    Ich dachte an den kleinen Jungen, jünger als ich selbst, der gezwungen gewesen war, lange Stunden mutterseelenallein in der Dunkelheit tief unter der Erde zu hocken. Ich versuchte, mir vorzustellen, wie viel Angst er gehabt und wie unendlich einsam er sich gefühlt haben musste. Ich fragte

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