Wer sich in Gefahr begibt - Granger, A: Wer sich in Gefahr begibt - A Rare Interest in Corpses
Sir?«, fragte Molly ängstlich.
»Lizzie«, sagte mein Vater zu mir.
»Ja, Papa?« Ich war genauso nervös wie Molly, denn ich fürchtete, dass ich nun eine Strafe für meine Eskapade erhalten würde.
»Vergiss niemals, was du heute gesehen hast, mein Kind«, sagte mein Vater. »Vergiss niemals, hörst du, dass das der wahre Preis von Kohle ist.«
Sobald ich eine Gelegenheit fand, packte ich meinen versteinerten Farn zu meinen übrigen kindlichen ›Schätzen‹ in eine zerschrammte Lackschachtel. Ich wusste, dass ich nie vergessen würde, was ich an jenem Morgen erlebt hatte. Ich begriff die letzte Bemerkung meines Vaters nicht genau, doch von diesem Tag an hörte ich Mary Newling nie wieder über den Preis von guter Kohle für das Wohnzimmer oder überhaupt von Kohle klagen.
Mein Vater war ein gutherziger Mann und ein liebevoller Vater. Doch er hatte viele Dinge in seinem Kopf, und solange ich glücklich und gesund schien, machte er sich normalerweise keine Gedanken um mich. Nichtsdestotrotz musste meine Eskapade im Einspänner an diesem Morgen ihm einiges zu denken gegeben haben. Er erkannte, dass ich auf dem besten Weg war, zu einer kleinen Wilden heranzuwachsen. Kurz nach der Episode in der Mine verließ Molly Darby unseren Haushalt, um einen Bauern zu heiraten, und wurde durch eine Gouvernante ersetzt, Madame Leblanc. Es war typisch für meinen Vater, dass er diese Person hauptsächlich deswegen einstellte, weil sie verzweifelt nach einer Anstellung suchte und sofort anfangen konnte. Einmal mehr wurde sein gesunder Menschenverstand von seiner gutmütigen Natur überstimmt.
Ich kam bald dahinter, dass es nie einen Monsieur Leblanc gegeben hatte, und dass ›Madame‹ eine reine Höflichkeitsanrede war. Doch sie war tatsächlich Französin und behauptete, bereits vor vielen Jahren nach England gekommen zu sein, wo sie in einer sehr guten Familie als Gouvernante gearbeitet hätte. Unglücklicherweise war diese Familie inzwischen mit Sack und Pack nach Indien gezogen und konnte Madame Leblanc deswegen keine Referenzen ausstellen.
Ich hörte, wie Mary Newling in der Küche mit einem Besucher über sie redete. »Meine Güte … Gouvernante! Diese Person hat ihr Geld im Bett verdient, nicht im Schulzimmer! Vielleicht hat sie inzwischen ihr Aussehen eingebüßt, aber sie redet immer noch mit silberner Zunge daher! Der Doktor ist zu gutmütig, einfach viel zu gutmütig, und lässt sich von jeder Leidensgeschichte einwickeln!«
Ich merkte mir ihre Worte, auch wenn ich sie nicht verstand. Die arme Madame Leblanc hatte sicherlich schwere Zeiten hinter sich und war unendlich dankbar dafür, dass mein Vater sie errettet hatte. Sie war vielleicht eins fünfzig groß, eine winzige Person von einer Frau mit sehr dunklem rötlichem Haar. (Ich hörte Mary Newling erklären, dass dies ein Resultat von Henna sei.) Sie hatte tiefliegende dunkle Augen, winzige Hände und Füße und bewegte sich schnell und geschickt. Unglücklicherweise war ihre eigene Bildung eher lückenhaft. Sie konnte mich lehren, genauso gut Französisch wie Englisch zu schreiben und zu lesen und die Sprache fließend zu sprechen, doch das war auch schon so ungefähr alles, abgesehen von ein wenig einfacher Mathematik. Ihre Vorstellungen von Geographie waren eher vage, und die einzige ihr bekannte Geschichte war die französische. Diese bestand zur Gänze aus wildromantischen Erzählungen von Rittern und Königen, die ich mir nur zu gerne anhörte. Madame war eine Royalistin und dem Ancien Régime treu ergeben, und sie sprach mit Zorn und Verachtung über den Parvenü und einstigen Kaiser Napoleon Bonaparte und noch wütender über die niederträchtigen Orleanisten . Als die Erhebung von 1848 Louis-Philippe vom Thron vertrieb, den er achtzehn Jahre zuvor usurpiert hatte, war ihre Befriedigung angesichts dieser Tatsache immens. »Besser eine Republik als dieser Verräter Orleans, ma chère Elizabeth!«
Als uns die Nachricht erreichte, dass in einem weiteren Umsturz in Frankreich Louis-Napoleon, der Neffe des alten Monsters Bonaparte, an die Macht gekommen war und sich selbst zum Kaiser der Franzosen erklärt hatte, war dies leider mehr, als Madame Leblanc ertragen konnte. Sie tröstete sich großzügig mit einer Flasche Brandy und verlor unglücklicherweise auf dem Sofa im Wohnzimmer das Bewusstsein, wo sie früh am nächsten Morgen mit der leeren Flasche neben sich von Mary Newling gefunden wurde, die den Kamin säubern und das Feuer anzünden wollte.
Weitere Kostenlose Bücher