Wer sich in Gefahr begibt - Granger, A: Wer sich in Gefahr begibt - A Rare Interest in Corpses
bedauernd, war es gar nicht so eigenartig, dass niemand die Polizei in seinem Leben haben wollte. Wir rührten das Wasser auf, und es wurde niemals wieder richtig klar.
»Der Arzt, der den Leichnam untersucht hat, sagt, dass längstens zwei Wochen seit dem Eintreten des Todes vergangen sind«, erklärte ich und flüchtete mich damit in bekannte Fakten. Er konnte nicht dagegen argumentieren. »Wir haben noch keine Erklärung für diese Tatsache, doch unser Ziel ist es, am Ende eine zu finden. Zuerst jedoch müssen wir absolut sicher sein, dass es sich um die richtige Person handelt.«
Carterton fuhr sich nervös mit der Hand über den Mund. »Ich verstehe. Wäre sie seit acht Wochen oder länger tot, wäre es sinnlos, sie anzusehen, um nicht zu sagen abstoßend. Selbst bei zwei Wochen … Was gewinnen Sie dadurch, dass ich mir die Tote ansehe? Wenn sie bis zur Unkenntlichkeit entstellt ist …«
Ich ignorierte das Flehen in seiner Stimme und seinen Ausdruck. »Oh, ich hoffe doch, dass es nicht so schlimm ist. Aber ich darf nicht mehr dazu sagen, Sir. Ich darf Sie nicht beeinflussen.«
»Wurde sie … Hat der Pathologe …?«
»Ja, Sir, aber Sie werden nichts von seiner Arbeit bemerken. Nur ihr Gesicht, Sir. Der Rest wird unter Tüchern verhüllt sein.«
Carterton sah zur Seite, schluckte mühsam und rieb sich erneut mit der Hand über den Mund. »Nun gut«, murmelte er schließlich. »Wann und wo?«
»In einem Leichenschauhaus, Sir. Wir können sofort hingehen. Ich habe darauf gebaut, dass ein Gentleman wie Sie der Polizei gerne behilflich sein würde, und habe Bescheid gegeben, dass man uns dort erwarten soll.«
»Selbstverständlich möchte ich der Polizei behilflich sein!« Er brüllte beinahe. »Aber … Ach, vergessen Sie’s! Gehen wir und bringen es hinter uns!«
Er stand auf, packte seinen Stock und seinen Hut, setzte den Hut in einer entschlossenen Bewegung auf und strich mit der flachen Hand über die Krone.
»Das ist ein sehr schöner Stock, Sir!«, bemerkte ich.
Es war tatsächlich ein sehr schönes Exemplar, mit einem silbernen Griff, in den ein Wappen eingraviert war.
Carterton sah mich ausdruckslos an, dann seinen Stock. »Oh. Der Stock. Er hat meinem verstorbenen Vater gehört, das Einzige, was er mir hinterlassen hat. Das hier …«, er deutete auf das Wappen, »das ist das Abzeichen seines Regiments.«
Ohne es zu bemerken, hatte er mir wertvolle Informationen über sich gegeben. Er hatte selbst nicht einen Penny außer seinem mageren Gehalt. Demzufolge war er vom Wohlwollen seiner Tante abhängig. Sie war es, die seine Kleidung bezahlt hatte, die teuren Stiefel und das Leinen. In seiner Situation war er verwundbar, nicht nur, was die Meinung seiner Vorgesetzten im Foreign Office anging, sondern auch in Bezug auf die Tante, die seine Rechnungen bezahlte.
Er wurde sichtlich düsterer und nervöser, als wir uns unserem Ziel näherten. Nachdem wir das Gebäude betreten hatten, wurde er sogar regelrecht streitlustig, womit er, wie ich vermutete, seine Angst verbergen wollte, und bewegte sich mit wenig überzeugender Großspurigkeit, wohl aus dem gleichen Grund.
»Kommen Sie. Wo ist sie?«, drängte er und schaute sich angewidert um. »Diesem Haus haftet ein unangenehmer Geruch an.«
»Das wird das Gas sein, Sir«, murmelte ich.
Das verwirrte und beunruhigte ihn – verständlicherweise – noch mehr, bis ich auf die Gasflamme deutete, die im Hintergrund leise zischte und einen schleichenden Gestank verbreitete.
»Oh«, sagte er. »Ja. Natürlich. Das Gas, richtig …«
Das Tageslicht war rasch verblasst, und auf unserem Weg hierher waren wir dem Laternenanzünder auf seiner Tour durch die Straßen der Stadt begegnet. Gasbeleuchtung draußen in den Straßen war ein Segen. Gasbeleuchtung im Haus ist meiner Meinung nach ein zweischneidiges Schwert. Der Haushalt der Parrys, so war mir aufgefallen, hatte Gasbrenner. Es war ein reiches Haus in der Hauptstadt der Nation. Meine eigene Wirtin konnte sich keinen Gasanschluss leisten und behalf sich mit Lampen und Kerzen, was mir durchaus recht war. Ich für meinen Teil betrachte Gasbrenner im Haus als ungesund und gefährlich obendrein. Ein Bergmann hingegen ist sich den Gefahren einer offenen Flamme nur allzu bewusst.
Carmichael war nicht da, doch sein unheimlicher Assistent erwartete uns. Er trug noch immer seine Metzgerschürze und stand in der Nähe des lakenbedeckten Leichnams, während er Carterton gehässig musterte. Meinem Blick
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