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Wer sich in Gefahr begibt - Granger, A: Wer sich in Gefahr begibt - A Rare Interest in Corpses

Wer sich in Gefahr begibt - Granger, A: Wer sich in Gefahr begibt - A Rare Interest in Corpses

Titel: Wer sich in Gefahr begibt - Granger, A: Wer sich in Gefahr begibt - A Rare Interest in Corpses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Granger
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hoffte, dass er die Tote zweifelsfrei identifizieren würde.
    Die Tagschicht war bereits gegangen, und die Nachtschicht traf ein. Im Gebäude war alles ruhig. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und spitzte Bleistifte, um meine Konzentration zu schärfen. Bald hatte ich ein ganzes Bataillon in sauberer Linie auf dem Tisch liegen, doch ich war noch kein Stück weiter. Carterton mochte zwar die Identität der Toten bestätigen, doch das Rätsel ihres unerklärten Verschwindens war noch größer geworden. Sie war vor zwei Monaten als vermisst gemeldet worden und seit höchstens zwei Wochen tot. Die Beamten von Marylebone hatten nicht gerade Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt auf der Suche nach ihr. Sie hatten einige Erkundigungen in der Gegend eingezogen, doch niemand schien sich an etwas zu erinnern, geschweige denn, dass er präzise Informationen hätte liefern können. Der Superintendent der Abteilung hatte angemerkt, dass sie früher oder später schon auftauchen würde, lebend oder tot.
    Ich war irritiert von der allem Anschein nach beiläufigen Art der beteiligten Beamten, doch ich war nicht sicher, ob ich es hätte besser machen können. Andauernd verschwinden Menschen in großen Städten. Nicht alle von ihnen sind Männer. Es war in gewisser Hinsicht schwieriger für eine junge Frau, ganz gewiss für jemanden von Miss Hexhams Hintergrund; nichtsdestotrotz verschwanden sie von Zeit zu Zeit. Das einzige signifikante Detail im Polizeibericht war, dass sie keinerlei persönliche Besitztümer oder Kleidung mitgenommen hatte. Der letzte Absatz des Beamten, der die Anzeige aufgenommen hatte, lautete denn auch mit einem Unterton von Resignation: »Flusspolizei benachrichtigt.«
    Selbstmord. Das war es, was er vermutet hatte. Doch in Abwesenheit einer Leiche konnte er nicht sicher sein.
    Jetzt hatten wir einen Leichnam, allerdings nicht den einer Selbstmörderin. Sie hatte sich gewiss nicht selbst den Schädel eingeschlagen oder versucht, ihre Überreste unter einem verrotteten Teppich in einem Abrisshaus in Agar Town zu verstecken. Konnte es sein, dass wir auf einer falschen Spur waren? War die tote Frau Madeleine Hexham oder war sie jemand anders, der ihr nur ähnlich sah? Die Kleidung, in der unsere Tote gefunden worden war, passte jedenfalls zu dem, was Madeleine laut Beschreibung zum Zeitpunkt ihres Verschwindens getragen hatte. Seit meinem Besuch am Dorset Square hatte ich weitere Informationen erhalten, doch anstatt den Nebel des Ungewissen zu lichten, hatte er sich weiter verdichtet. Da war zum einen der ominöse Brief, von dem Mrs Parry gesprochen hatte. Hatte Madeleine Hexham ihn aus freien Stücken geschrieben, oder war sie vielleicht gezwungen worden? Wenn der Brief doch nur aufbewahrt worden wäre! Er hätte uns wenigstens so viel verraten können. Alles sah mehr und mehr danach aus, als hätte ich entsetzlich Recht gehabt und als wäre das Opfer in den Wochen zwischen seinem Verschwinden und seinem Tod irgendwo festgehalten worden. Ich war nicht sicher, wie viel Licht Carterton auf die Sache werfen konnte, wenn überhaupt.
    Ich hatte eine Nachricht ans Foreign Office geschickt und ihn gebeten, zu mir nach Scotland Yard zu kommen. Ich schätzte, dass es ihm so herum lieber war, als wenn ich ins Foreign Office gegangen wäre und Neugier bei seinen Kollegen geweckt hätte. Obwohl ich keine Uniform trug, wusste ich, dass man mich sofort als Polizeibeamten erkannt hätte, genauso wie bei meinem Besuch mit Morris auf der Baustelle in Agar Town. Ob reich oder arm, ehrbar oder kriminell, Angestellter beim Foreign Office, Diener, Butler oder Bauarbeiter – sie alle erkannten einen Gesetzeshüter, sobald er auch nur in Sicht kam, und keiner mochte es besonders, einen in seiner Nähe zu haben.
    Ich war neugierig auf Frank Carterton. Als er schließlich an meine Tür klopfte und eintrat, entsprach er im Großen und Ganzen dem, was ich mir vorgestellt hatte: ein schicker junger Gentleman und typischer Stadtmensch. Frauen fanden ihn wahrscheinlich attraktiv und begehrenswert. Er hatte eine kultivierte Jungenhaftigkeit, die beim schwachen Geschlecht wohl Entzücken hervorrief und bei mir augenblicklich Feindseligkeit. Seine Kleidung entstammte den Händen geschickter Schneider und hatte sicherlich eine hübsche Stange Geld gekostet. Ich hatte nicht gewusst, dass das Foreign Office seine jüngeren Beamten so fürstlich entlohnte, doch möglicherweise verfügte er über weitere, private Einnahmequellen. Seine Tante,

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