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Wer sich nicht fügen will

Wer sich nicht fügen will

Titel: Wer sich nicht fügen will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Letholainen
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mir ihre Streichhölzer zu. Oksana machte keine Anstalten, das Essen anzurühren. In der Kochnische lagen Brotmesser, Käsehobel und Buttermesser. Ursula schnitt das Brot auf und belegte es mit Käse. Im Schrank fand ich zwar keine Teetassen, aber Kaffeetassen taten es auch. Die schwere braune Keramik erinnerte mich an meine Schulfreundin Ella, deren Mutter ähnliches Geschirr gehabt hatte.
    »Here you are«, sagte Ursula und reichte Oksana ein Käsebrot. Das Mädchen zögerte kurz, bevor es annahm. Ursula riss die Packung mit den Fleischklößchen auf und schob sie Oksana hin, die das Käsebrot im Nu verschlungen hatte und nun die kalten Fleischbällchen in sich hineinstopfte.
    Vielleicht wäre Oksana gesprächiger gewesen, wenn wir die Lebensmittel als Druckmittel benutzt hätten, aber sie hatte genug gelitten. Als das Wasser kochte, warf ich drei Teebeutel hinein. Ich suchte im Speiseschrank nach Zucker, fand aber nur einen Rest Senf und ein Paket Erbsmehl. Offenbar hatte Oksana nicht gewusst, was es war. Als ich in die Tüte schaute, entdeckte ich Mäusekot darin.
    Als wir alle drei mit unseren Teetassen am Tisch saßen, versuchte ich Oksana zu befragen. Anfangs schwieg sie. Sie traute uns nicht, sah Ursula böse an und wich meinem Blick aus. Immer wieder wurde sie von Kälteschauern geschüttelt, sie musste hohes Fieber haben.
    »Oksana, wer hat das getan?« Ich bewegte meine Hand, als würde ich mich schneiden. Meine Russischkenntnisse kamen mir dürftig vor, aber Oksanas Antwort verstand sogar ich.
    » Ja. «Ich.
    »Warum?«
    »Ich wollte nicht … Ich wollte weg.« Ihre Stimme klang belegt, die Worte waren kaum zu verstehen. Sie trank von ihrem Tee. Ein paar Tränen tropften in die Tasse.
    »Ich habe einen Freund … Arto. Er hat versprochen, mir mit dem Visum zu helfen und mir richtige Arbeit zu beschaffen. Anständige Arbeit. Er ist reich, und nett. Aber jetzt will er mich natürlich nicht mehr, so wie ich aussehe …«
    »Wer hat dich in den Park gebracht, in dem du gefunden wurdest?«
    »Die Mädchen. Sveta und Ljudmila. Sie hatten Angst, dass ich sterbe …« Oksana fügte eine lange Erklärung hinzu, sprach aber plötzlich so schnell, dass ich nichts verstand. Ich übersetzte ihre bisherige Aussage für Ursula ins Finnische und fragte Oksana dann, warum Sveta und Ljudmila sie draußen in der Kälte hatten liegen lassen, wo sie schlimmstenfalls hätte erfrieren können.
    »Die Mädchen wollten mich ins Krankenhaus bringen. Ich wollte nicht. Wir haben uns gestritten«, antwortete Oksana matt. »Wenn ich gestorben wäre, egal.«
    »Wer ist dein Zuhälter?«, fragte nun Ursula auf Englisch. »Vor wem hast du Angst?«
    Oksana gab keine Antwort, sie kämpfte mit den Tränen. Ich griff nach ihrer Hand, die erschreckend heiß war. Sie brauchte dringend ärztliche Behandlung. Ich nahm eine der Decken von der Schlafcouch und legte sie ihr um, dann goss ich ihr Tee nach. Der Beuteltee schmeckte bitter, aber er wärmte. Ursula und ich hatten unsere Mäntel anbehalten, trotzdem schien es immer kälter zu werden. Der Wind wehte stärker, ein Zweig schlug heftig auf das Blechdach.
    »Das kann ich nicht sagen«, erwiderte Oksana schließlich auf Englisch. »Sie töten mich. In Finnland, zu Hause, sie töten mich überall. Die Polizei kann nicht helfen.«
    »Warum hast du dich an Lulu gewandt?« Ursula goss sich Tee nach. Oksana schwieg wieder eine ganze Weile, dann setzte sie zu einer langen Erklärung auf Russisch an, von der ich nur Bruchstücke verstand. Demnach waren Lulu und Oksana sich kürzlich in einem Restaurant begegnet, und Lulu hatte Oksana vor den Ermittlungen der Zentralkripo gewarnt. Als Oksana beschlossen hatte, aus der Klinik zu fliehen, hatte sie Lulu angerufen, die sie abgeholt und am Mittwochabend nach Barösund gebracht hatte. Sie hatte versprochen, sich zu erkundigen, wie Oksana unbemerkt nach Schweden ausreisen konnte. Oksana hatte Lulu von Arto Saarnio erzählt, und die beiden Frauen hatten geplant, ihn um Geld für die Reise zu bitten.
    »Lulu sagte, sie ist am Donnerstagabend im Fernsehen. Ich soll mir die Sendung ansehen, es gäbe eine Überraschung. Ich habe sie angesehen, aber nicht verstanden, was geredet wurde. Der Polizist, das war der, vor dem Lulu mich gewarnt hatte. Der wollte mich aus Finnland vertreiben. Aber dann wurde es komisch. Lulu war gar nicht in der Sendung. Und so wie sich die anderen benommen haben, ist mir klar geworden, dass ein Unglück passiert ist. Ich habe mich nicht

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