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Wer sich nicht fügen will

Wer sich nicht fügen will

Titel: Wer sich nicht fügen will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Letholainen
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fuhr mehr als hundert Stundenkilometer, obwohl nur achtzig erlaubt waren. Auf der Fernstraße nach Hanko schienen Geschwindigkeitsübertretungen ohnehin die Regel zu sein. »Hoffentlich war es kein falsches Signal. Wir hätten natürlich bei den Mäkinens anrufen und sie um den Schlüssel bitten müssen, aber das ist mir zu kompliziert. Ich hab einen Dietrich dabei. Oksana wird mich erkennen, schließlich hat sie mich in der Klinik gesehen. Am besten sagen wir ihr von vornherein, dass wir von der Polizei sind, ihr aber nichts zur Last legen. Wir haben keinen Grund, sie zu verhaften, wir wollen nur wissen, wer sie verstümmelt hat.«
    Oksana hielt sich zwar illegal in Finnland auf, doch für Abschiebungen waren wir nicht zuständig.
    Wir hielten an einer Tankstelle und kauften Lebensmittel, denn Oksana hatte vermutlich in letzter Zeit nichts zu essen bekommen. Nach der Kreuzung in Siuntio gab es keine durchgängige Straßenbeleuchtung mehr. Die Schneedecke war zu dünn, um für ein bisschen Helligkeit zu sorgen, und da zudem der Himmel bewölkt war, fuhren wir durch pechschwarze Nacht. Nur ab und zu kam uns ein LKW entgegen, und die Straßenlampen an den Kreuzungen in Degerby und im Kirchdorf Inkoo wirkten wie Leuchttürme. Es war schwierig, im Dunkeln die Karte zu lesen. Ich hatte zwar mehrmals vor Barösund gesegelt, aber an Land war ich nur einmal gegangen, kannte also die Straßen nicht.
    Zum Glück lag das Sommerhaus der Mäkinens auf dem Festland, was uns das Warten auf die Fähre ersparte. Ich hatte mein russisches Wörterbuch mitgenommen, denn Arto Saarnio hatte erzählt, Oksanas Englischkenntnisse seien bruchstückhaft. Wie hatten die Freier ihr erklärt, was sie wollten? Oder brauchte man dafür keine Worte? Vielleicht hatte Oksana auch keine so breite Palette von Dienstleistungen angeboten wie Lulu Nightingale.
    Das Sommerhaus lag etwa einen halben Kilometer vom Meer entfernt. In der Umgebung gab es zahlreiche weitere Ferienhäuser, die sich dem Immobilienregister zufolge einen gemeinsamen Uferstreifen teilten. Licht war nirgendwo zu sehen, auch im Haus der Mäkinens nicht. Hockte Oksana seit gut einer Woche im Dunkeln, weil sie nicht wagte, Licht zu machen?
    Ursula parkte vor dem Nachbarhaus. Als sie die Scheinwerfer abstellte, sah ich anfangs praktisch nichts, doch allmählich traten einige Bäume aus der Dunkelheit hervor. Das Haus der Mäkinens war nur eine kleine Hütte mit etwa vierzig Quadratmetern. Es hatte zwei Türen, eine zur Stube, eine zur Sauna. Aus dem Schornstein stieg kein Rauch auf. Etwas weiter entfernt stand ein Schuppen, in dem sich vermutlich der Brennholzvorrat und das Klo befanden.
    Ursula stieg aus und nahm die Einkaufstüte und ihre Taschenlampe vom Rücksitz. Auch ich hatte eine Taschenlampe, in deren Lichtkegel ich sah, dass Ursula ein Achselhalfter umgeschnallt hatte. Sie knöpfte hastig ihren Mantel zu.
    »Man kann nie wissen. Vielleicht werden wir verfolgt«, wisperte sie.
    »Von wem denn?«
    »Mit den beiden Schlägern hatte ich neulich auch nicht gerechnet«, flüsterte sie gereizt. Durch den Garten des Nachbarhauses gelangten wir in den der Mäkinens. Die Fußabdrücke im Schnee, die vom Haus zum Abort führten, schienen von Männerstiefeln zu stammen. Auf mein Klopfen kam keine Antwort. Ich drückte die Klinke herunter – vergeblich: Die Tür ging nicht auf. Die zum Weg liegenden Fenster waren von innen mit dickem Stoff verhängt.
    »Ist da jemand?«, rief ich auf Finnisch. »Aufmachen, Polizei!«
    Keine Antwort. An der Rückseite des Hauses fanden wir ein weiteres Fenster, das aber ebenfalls verhängt war. Wir gingen zum Abort und öffneten den Türhaken. Der Geruch war eindeutig: Das Örtchen war vor kurzem noch benutzt worden. Andernfalls wären die Fäkalien gefroren und hätten nicht gerochen.
    Wir gingen zurück auf die kleine Veranda vor dem Sommerhaus. Ich klopfte noch einmal. Dann sah ich Ursula an, hob die Augenbrauen und gab ihr durch Gesten zu verstehen, dass sie es versuchen sollte.
    »Hello, Oksana, open the door! I am Ursula. A friend. Lulu’s friend. I’ve come to help you. I have food«, rief sie so laut, dass es sicher bis ans Ufer zu hören war. Ihre Hand lag am Achselhalfter.
    Wir spitzten die Ohren. Von drinnen kam ein leises Rascheln, als ob jemand versuchte, ans andere Ende des Raums zu schleichen. Ich zog die Fäustlinge aus und streifte Latexhandschuhe über. Dann holte ich den Dietrich hervor.
    Das Sommerhaus der Mäkinens hatte ein einfaches

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