Wer sich nicht fügen will
hatten es nicht mehr eilig, für uns dagegen fing der Stress erst an. Liisa Rasilainen, die meine Stimme erkannt hatte, steckte den Kopf durch die Tür und winkte mich in die Garderobe. Puupponen folgte mir in den kleinen Raum, der gerade genug Platz bot für ein Sofa, einen Stuhl und einen schmalen Schminktisch, über dem ein großer Spiegel hing. Auf dem Sofa lag die magere Frau im Kostüm, die ich vor gut einer halben Stunde auf dem Bildschirm gesehen hatte. Ihr Gesicht war aschfahl, sie starrte ins Leere. Die Augen waren vom Weinen gerötet, auf den Wangen sah man Reste von verschmiertem Make-up. Ich stellte mich und Puupponen vor, doch die Frau schien mich nicht zu hören und reagierte zunächst auch nicht auf meine Fragen. Dann brach sie erneut in Tränen aus.
»Ich will nicht darüber reden, es war so furchtbar!«
»Schockzustand«, flüsterte Liisa mir zu. »Sie heißt Riitta Saarnio, sechsundfünfzig Jahre. Sollten wir sie besser in die Klinik bringen?«
»Versuch erst mal, ihre Angehörigen zu erreichen, dann sehen wir weiter. Wo ist die Tote?«
»In der Garderobe nebenan. Hier ist der Schlüssel.« Liisa reichte mir eine Lochkarte aus Plastik, auf der eine Zwei stand.
»Sowohl Nordström als auch die Sanitäter haben den Raum betreten, aber sie sagen, sie hätten die Position der Leiche so wenig wie möglich verändert.«
Bevor ich die Tür zu Lulu Nightingales Garderobe öffnen konnte, klopfte mir jemand auf die Schulter. Ich fuhr zusammen, denn ich hatte keine Schritte gehört. Als ich mich umdrehte, sah ich einen vierschrötigen Mann mit millimeterkurzen schwarzen Haaren und traurigen Augen.
»Es war nicht meine Schuld!«, rief er. »Ich war die ganze Zeit im Kontrollraum, es ist garantiert niemand ins Gebäude gekommen. Bitte, lasst mich zu Lulu. Ich möchte sie noch einmal sehen.«
»Wer bist du?«
»Tero. Lulus Leibwächter. Und ihr Freund …«
»Ich unterhalte mich später mit dir. Geh jetzt bitte zur Seite.« Puupponen packte den Mann an der Schulter und schob ihn fort. Das Erste, was ich sah, als ich die Tür öffnete, war ein roter Vinylstiefel. Der Absatz maß an die fünfzehn Zentimeter. Puupponen und ich zwängten uns vorsichtig durch die Tür und zogen sie hinter uns zu. Lulu Nightingales Leiche lag seitlich zwischen dem Sofa und dem umgekippten Stuhl. Die blonden Haare waren ins Gesicht gefallen. Blut war nirgends zu sehen, aber die Möbel waren verrückt worden, und auf dem Fußboden lag ein langer schwarzer Ledermantel mit rotem Flauschpelz an Ärmeln und Kragen. Auf dem Tisch standen eine Flasche Fernet Branca und ein Glas, in dem sich noch ein kleiner Rest dunkelbrauner Flüssigkeit befand. Am Glasrand war eine dicke Lippenstiftspur zu sehen. Der Inhalt eines Zigarettenetuis lag verstreut auf dem Fußboden.
»Hast du Handschuhe dabei?«, fragte ich Puupponen. Er nickte und zog zwei Paar weiße Schutzhandschuhe aus der Tasche. Ich streifte ein Paar über und beugte mich zu Lulu. Ich schob ihr die Haare aus dem Gesicht. Die Haut fühlte sich durch die Handschuhe hindurch noch warm an. Bei der Berührung lief mir ein Schauer über den Rücken. Lulus Make-up war so dick, dass ihre natürliche Gesichtsfarbe nicht zu erkennen war. Ihr Gesicht war verzerrt, es wirkte alterslos und voller Schmerz. Woran Lulu Nightingale auch immer gestorben sein mochte, es war auf jeden Fall ein grausamer Tod gewesen.
DREI
Lulu!« Der Leibwächter, der im Gang gewartet hatte, versuchte, Puupponen beiseite zu stoßen und in die Garderobe vorzudringen, doch mit vereinten Kräften gelang es uns, ihn aufzuhalten.
»Ist sie wirklich tot? Vielleicht kann man ihr doch noch helfen?«
»Der Notarzt hat sie untersucht. Es tut mir leid.«
Der Mann heulte laut auf. Wir schoben ihn durch den Flur, auf dem bereits die Spurensicherung antrabte, Hakkarainen an der Spitze.
»Guten Abend! Aha, die Kommissarin persönlich. Wo ist denn unser Tummelplatz?«, fragte Hakkarainen. Ich führte ihn zur Garderobentür.
Den Leibwächter wollte ich als Ersten befragen. Ich brachte ihn in die nächste freie Garderobe, die vier, in der sich ein Paar Männerschuhe und ein dicker dunkelblauer Mantel befanden. Meiner Vermutung nach handelte es sich um Lasse Nordströms Garderobe. Der Leibwächter hieß Tero Sulonen.
»Seit wann arbeitest du für Lulu Nightingale? Wie lautet übrigens ihr bürgerlicher Name?«
Sulonen wischte sich die Tränen ab und seufzte tief.
»Muss ich das sagen …«, begann er wie ein störrisches
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