Wer sich nicht fügen will
sein. Am besten alarmierte ich vorsichtshalber meine Schwiegermutter.
Nordström war ein großer Mann, er maß fast zwei Meter. Über breite Schultern hatte er schon als Student verfügt, den Bauchansatz dagegen hatte er sich erst in den letzten Jahren zugelegt. Vielleicht fand er keine Zeit mehr, Squash zu spielen. Ich erwiderte seinen Händedruck absichtlich so fest, wie ich konnte. Nordström trug Jeans und Jackett. Die spitzen Stiefel machten ihn noch ein paar Zentimeter größer. Ohne eine Aufforderung abzuwarten, setzte er sich auf die Couch und klopfte einladend auf den Platz neben ihm. Ich bevorzugte jedoch den Stuhl ihm gegenüber, und Koivu rückte seinen eigenen Stuhl so zurecht, dass er seinen Laptop auf meinen Schreibtisch stellen konnte. Sein Gesicht war Nordström zugewandt.
»Na, habt ihr schon herausgefunden, womit unsere Nachtigall vergiftet wurde? Gift war es auf jeden Fall, mach dir gar nicht erst die Mühe, es zu bestreiten. Die Leiche wies die typische Verkrampfung auf.«
»Die Obduktion ist noch nicht abgeschlossen. Fangen wir erst mal ganz offiziell an, ich schalte jetzt den Recorder ein. Elfter März, sechzehn Uhr zehn. Anwesend Kommissarin Maria Kallio und Hauptmeister Pekka Koivu. Vernehmung des Zeugen, sagst du bitte deinen vollen Namen und dein Geburtsdatum.«
»Nordström, Lasse Henrik, geboren am sechsten August neunzehnhundertzweiundsechzig. Schuhgröße siebenundvierzig und …« Nordström verstummte, als er meinen Blick auffing. »He, muss es unter Kollegen wirklich so hochoffiziell zugehen?«
»Gerade dir sollte klar sein, wie notwendig das ist. Wusstest du, dass Lulu Nightingale an der Talkshow teilnehmen sollte?«
»Nein. Ich wusste auch nicht, wer die anderen Gäste sein würden. Werde ich als Verdächtiger oder als Zeuge vernommen? Der Unterschied ist dir wohl bekannt.«
»Du hast Zeugenstatus«, erwiderte ich. Das bedeutete, dass er die Wahrheit sagen musste. Polizist oder nicht, ich würde ihn so lange vernehmen wie nötig.
»Kanntest du Lulu Nightingale beziehungsweise Lulu Mäkinen?«
»Ich wusste, wer sie war, habe sie aber nicht persönlich gekannt. Wahrscheinlich fahndest du, oder fahndet ihr beide, nach ihren Freiern. Es ist nicht außergewöhnlich, dass eine Nutte ums Leben kommt.« Nordström grinste Koivu an, der kurz zögerte, dann aber halb freundlich zurückgrinste. Sicher würde Lasse Nordström nicht auf das Schema »guter Polizist – böser Polizist« hereinfallen, trotzdem konnte Männersolidarität ihre Wirkung tun. Koivu kannte die Taktik, wir hatten sie oft benutzt. Im Allgemeinen fiel mir dabei die Rolle der bösen Hexe zu.
Ich fragte Nordström, was im Einzelnen geschehen war, nachdem Riitta Saarnio kreischend ins Aufnahmestudio gekommen war. Er verengte die Augen wie eine Katze, die eine Maus gefangen hat und nun ein Lob erwartet.
»Instinktsache, ihr kennt das bestimmt. Wenn man von einer Notlage erfährt, eilt man sofort zu Hilfe. Ich wusste, dass ich als Polizist das Kommando übernehmen musste. Zivilisten geraten in solchen Situationen schnell in Panik. Also habe ich die anderen angewiesen, auf ihren Plätzen zu bleiben, und selbst nachgesehen, was los war. Die Frau war tot, eindeutig: kein Puls, keine Atmung. Ich habe noch versucht, sie wieder zu beleben, aber bald eingesehen, dass es zwecklos war.«
»Wiederbelebung? Herzmassage?«
»Ja. Und Atemspende.«
Ich dachte an Ursulas Nachricht über Spuren postmortaler Gewaltanwendung. Die stammten womöglich von Nordströms Wiederbelebungsversuchen.
»Als ich merkte, dass ich nichts ausrichten konnte, habe ich den Notruf gewählt. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass die Kommissarin persönlich angestürmt kommt. Hast du kein Vertrauen in deine Untergebenen?«
»Hat sonst noch jemand Lulus Garderobe betreten?«
»Ich habe keinen reingelassen. Der Leibwächter hat es versucht, Ilari Länsimies auch, aber ich habe von innen abgeschlossen und die Tür erst wieder geöffnet, als eure Streife eintraf. Von da an fühlte ich mich nicht mehr verantwortlich, obwohl im Studio immer noch ziemliches Chaos herrschte.«
Nordström musste begreifen, was seine Aussage bedeutete. Er war allein bei der Leiche gewesen, hatte also Gelegenheit gehabt, Indizien verschwinden zu lassen oder getürktes Beweismaterial am Tatort zu deponieren. Ich betrachtete seine Finger, die auf die breiten, muskulösen Oberschenkel klopften. Im Verhältnis zu seinem stämmigen Körper wirkten sie überraschend
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