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Wer sich nicht fügen will

Wer sich nicht fügen will

Titel: Wer sich nicht fügen will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Letholainen
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Iris’ Freundin Ulla stirbt. Iida weinte über Ullas Tod, und auch mir kamen die Tränen.
    Als die Kinder eingeschlafen waren, zog ich den Mantel an.
    Antti schaute von seinem Buch auf. »Wohin willst du denn jetzt noch?«
    »Zur Arbeit.« Ich wollte mir das Video von Tero Sulonens Vernehmung ansehen, den Obduktionsbericht lesen und mich auf die Pressekonferenz vorbereiten, die am nächsten Morgen stattfinden sollte.
    Antti sah mich missbilligend an.
    »Hast du überhaupt keine geregelte Arbeitszeit mehr? Oder bist du schlecht organisiert? Ein bisschen Schlaf brauchst du schließlich auch!«
    Ich hatte nicht die Kraft für einen Streit und konnte mir nicht einmal durch Türenknallen Luft machen, um die Kinder und die Nachbarn nicht zu stören. In meiner Wut fuhr ich schneller als nötig und hätte den Wagen in der Tiefgarage beinahe gegen die Wand gesetzt. Während es an den Wochenenden bei der Schupo lebhaft zuging, herrschte im Rest des Präsidiums Stille. Nur die akuten Fälle wurden bearbeitet, sofern es sich um schwere Drogendelikte oder Kapitalverbrechen handelte. Die oberen Etagen lagen im Dornröschenschlaf, auch in meinem Dezernat brannte kein Licht. Wie oft hatte ich mir vorgenommen, nicht mehr spätabends und am Wochenende zu arbeiten, und wie oft hatte ich alle guten Vorsätze in den Wind geschrieben. Ich versuchte mir zu sagen, auch ich hätte das Recht, aus beruflichen Gründen außer Haus zu sein, da Antti ja auch immer häufiger unterwegs war. Eine innere Stimme redete mir jedoch hartnäckig ein, meine Logik hinke.
    Ursula hatte das Video von Sulonens Vernehmung und eine Kopie des Obduktionsberichts auf meinen Schreibtisch gelegt. Den Bericht sah ich mir zuerst an. Kirsti Grotenfelt, die bei uns immer noch »die neue Pathologin« genannt wurde, obwohl sie den Posten bereits vor mehr als zwei Jahren übernommen hatte, drückte sich verständlicher aus als ihr Vorgänger. Die Laborergebnisse lagen noch nicht vor, aber die Pathologin war aufgrund der Farbe des Blutes sicher, dass es sich um eine Zyanidvergiftung handelte.
    Am Brustkorb der Leiche waren Prellungen festgestellt worden, die höchstwahrscheinlich bei Nordströms Wiederbelebungsversuchen entstanden waren. Am rechten Schlüsselbein aber befanden sich Beißspuren und an den Innenseiten der Oberschenkel Streifen, über deren Ursprung ich lieber nicht nachdachte. Zu Lulus medizinischer Vorgeschichte gehörten zwei Rippenbrüche, beide aus den letzten zwei Jahren, außerdem die rund ein Jahr zurückliegende Sterilisation und zwei Abtreibungen im Teenageralter. Nach der zweiten hatte Lulu sich die Pille verschreiben lassen. Geschlechtskrankheiten waren in den Akten des öffentlichen Gesundheitswesens nicht registriert.
    Ich dachte an Autios Bericht über Lulus Elternhaus. Hatte das kleine Mädchen, das zwischen Kreuzstichdeckchen aufgewachsen war, seinen Traumberuf gefunden? Warum hatte Lulu sich verkauft, warum hatte sie einen Beruf ergriffen, der nun viele mit einem Achselzucken über ihren Tod hinweggehen ließ? Eine Hure weniger.

SECHS
     
    Du hattest eine Menge Vergünstigungen in deinem Job: Wohnung, Auto, Verpflegung. Was noch?«, fragte Ursula Honkanen streng. Tero Sulonen starrte sie wie versteinert an und wischte sich dann mit einem Papiertaschentuch den Schweiß vom Gesicht.
    »Das war alles … alles, was im Arbeitsvertrag steht.«
    Ursula lachte spöttisch, ihre roten Fingernägel klopften auf die Tischplatte. Die Videokamera erfasste alles, was im Vernehmungsraum eins vor sich ging, einem schmalen Kellerraum, in dem der Befragte und die Vernehmungsbeamten sich so nahe waren, dass sie sich hätten schlagen oder küssen können. Der Tisch war nicht einmal einen halben Meter breit. Ursula war die Aktivere, wie meistens, sie führte gern Vernehmungen und liebte vermutlich das Machtgefühl, das sich aus der Situation ergab. Sie hatte Sulonen noch stärker unter Druck gesetzt als üblich, aber auch mehr aus ihm herausgeholt, als bei einer weniger aggressiven Vernehmung zu erwarten gewesen wäre. Sulonen schien Menschen zu respektieren, die offen und direkt sprachen. Von seinen Gedichten wusste Ursula nichts, denn wir hatten sie erst gefunden, als die Vernehmung bereits im Gange war.
    Tero Sulonen war jünger, als ich gedacht hatte, erst achtundzwanzig. Nach dem Schulabschluss war er ein paar Jahre arbeitslos gewesen und hatte dann eine Ausbildung zum Wachmann absolviert. Danach hatte er zunächst als Industriewachmann gearbeitet, dann als

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