Wer sich nicht fügen will
weil sie den Befragten Gelegenheit gaben, über ihre verstorbenen Angehörigen zu sprechen. Doch der Tod, mit dem ich konfrontiert wurde, war immer gewaltsam und plötzlich gekommen. Ich hoffte helfen zu können, indem ich die Wahrheit herausfand. Die war oft grausam und schien die Qual zunächst nur zu vergrößern, aber ich glaubte trotzdem an ihre heilende Wirkung.
»Was sagst du dazu?«, fragte Koivu, als wir zum Wagen gingen. »Ein erstaunlicher Zufall. Ob Frau Pihlaja erraten hat, dass Lulu zu der Show eingeladen war?«
»Um daraufhin für alle Fälle Zyanid einzustecken? Es ist übrigens gar nicht schwer, an das Zeug heranzukommen. Sogar Schmetterlingssammler benutzen es. Autios Bruder zum Beispiel, der hat eine Hundertgrammpackung Kaliumzyanid im Gartenschuppen stehen.«
Trotz des strahlenden Sonnenscheins zeigte das Thermometer im Wagen minus sechs Grad Außentemperatur. Genau das richtige Wetter, um sich beim Skilaufen ein wenig Sonnenbräune zu holen. Wir aber fuhren aufs Präsidium und schrieben eine Zusammenfassung der bisherigen Vernehmungen, die kaum etwas erbracht hatten. Auch Lulus Computer und ihre Disketten hatten sich immer noch nicht öffnen lassen. Es war frustrierend.
Ursula und Puupponen saßen im Pausenraum und schienen sich zu streiten, verstummten aber, als sie Koivu und mich sahen. Sie hatten gerade die Kameramänner und Anna-Maija Mustajoki vernommen.
»Die Frau hatte keinerlei Kontakt zu Lulu, sie will nicht einmal gewusst haben, wer diese Nightingale war. Liest angeblich keine Skandalblätter. Überhaupt wirkte sie ziemlich grantig. Und die Kameramänner haben nur bestätigt, was wir schon wussten: Sie haben den Garderobenflur nicht betreten.«
Puustjärvi und Autio waren in Salo, um mit Lulus Schwester zu sprechen. Ursula hätte gern Tero Sulonen noch einmal vernommen, da sie ihn für den Hauptverdächtigen hielt.
»Glaubt mir, jemand hat den Kerl bestochen. Es ist gar nicht so selten, dass Huren ihre Freier erpressen. Und das Fernsehstudio wurde als Tatort gewählt, damit Sulonen nicht als der einzige Verdächtige dasteht. Nur so macht die Geschichte Sinn.«
»Mich interessiert im Moment vor allem ein konkretes Detail«, sagte ich. »Wann ist das Gift in die Flasche praktiziert worden? Wem gehörte die Flasche? Hat Lulu sie mitgebracht? Ich werde die Helsinkier Kollegen bitten, zu überprüfen, ob Sulonen oder Lulu in letzter Zeit in einem Alko in Südhelsinki Fernet Branca gekauft haben.« Die Spurensicherung hatte in der Frivolen Nachtigall zwei Einkaufstüten aus dem Alkoholgeschäft gefunden, in denen jedoch keine Kassenbons lagen.
»Komm, Ursula, wir gehen jetzt Damenbekanntschaft suchen«, grinste Puupponen. »Maria, ich habe Russinnen aufgelistet, die alle gern betuchte Herren kennen lernen möchten. Wir sprechen heute noch mit ihnen.«
Ursula nickte ungeduldig. Ihren Wechsel vom Dezernat für Wirtschaftskriminalität zum Gewaltdezernat hatte sie damit begründet, dass die Ermittlungen bei Wirtschaftsdelikten eine jahrelange Tüftelei waren, ohne Action und Dramatik. Ich fragte mich manchmal, was sie sich vom Gewaltdezernat erwartet hatte. Schießereien und Serienmörder?
Ursula fasste Puupponen am Arm, drehte sich aber an der Tür noch einmal um und fragte: »Sind die Telefondaten schon gekommen?«
»Um die kümmern sich Puustjärvi und Autio. Kommt morgen um zehn wieder her, dann schauen wir uns an, wie weit wir gekommen sind. Und drückt die Daumen, dass es heute friedlich bleibt. Zusätzliche Arbeit können wir jetzt nicht gebrauchen.«
Mir knurrte der Magen, ich hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Mein Blutzuckerspiegel war so niedrig, dass mir die Hände zitterten. Da halfen die Salmiakpastillen, die ich für Notfälle bereithielt, auch nichts mehr. Ich holte mir am Automaten ein Glas Saft. Erst danach fühlte ich mich fit genug, um nach Hause zu fahren.
Als ich die Tür aufschloss, hörte ich Antti im Wohnzimmer lachen und sprechen. Es dauerte einen Moment, ehe ich begriff, dass er telefonierte. Natürlich hätte ich mich bemerkbar machen und ins Wohnzimmer gehen sollen, doch seine Stimme klang so ungewohnt weich, dass ich stocksteif im Flur stehen blieb.
»Ja, das wäre schön, aber ich muss erst mal sehen, wie es mit Marias Arbeit weitergeht … Ja, genau, mit dem Fall ist sie gerade beschäftigt, und sie hat natürlich nichts anderes im Kopf … Klar, das muss auch mal sein, und du weißt, wie gern ich bleiben würde … Stimmt, bis dahin
Weitere Kostenlose Bücher