Wer sich nicht fügen will
dargestellt wird, die immer nur Verbote ausspricht. Eines meiner Beispiele betraf gleichgeschlechtliche Ehen. Das hat wohl den Ausschlag gegeben. Ich habe lange überlegt, ob ich zusagen soll, aber irgendwie ist es Länsimies gelungen, mich zu überreden. Diese Kunst beherrscht er. Ich fühlte mich beinahe hypnotisiert.«
»Warum hast du gezögert?«
»Ein Teil der Gemeindemitglieder ist natürlich anderer Ansicht als ich, und ich baue lieber Brücken, als Gräben aufzureißen, obwohl man natürlich auch den Mut haben muss, seine Meinung zu äußern. Es war ja ein erstaunlicher Zufall, dass Lilli und ich zu derselben Sendung eingeladen waren. Leider sind wir uns dann doch nicht mehr begegnet.«
»Hast du Lulu Mäkinen gekannt?«
Terhi Pihlaja riss die Augen weit auf. »Wusstet ihr das noch nicht? Lilli und ich waren Klassenkameradinnen. Wir haben die Unterstufe in Inkoo und die Mittel- und Oberstufe in Virkkala besucht. Lilli wohnte im Ort und ich außerhalb in Päivölä, sodass wir uns nur in der Schule und im Schulbus gesehen haben. Wir hatten auch nicht viel gemeinsam. Ich war ein braves Mädchen, gehörte zur Jugendgemeinde, während Lilli … na ja, sie war anders. Sie wollte sich damals schon von der Masse abheben und etwas werden.«
»Und was war dieses Etwas?«
»Berühmt. Ein Star. Davon träumt ja heute die Hälfte aller jungen Leute, aber vor fünfzehn Jahren war das noch anders. Lilli wollte hinaus in die weite Welt und berühmte Leute kennen lernen. Sie fuhr nach Helsinki zu Rockkonzerten und versuchte, sich Zutritt zu den Garderoben der Musiker zu verschaffen. Ich hielt mich damals für etwas Besseres. Für die abgebrühten Mädchen, die montags mit Knutschflecken in die Schule kamen, hatte ich nur Verachtung übrig. Ich fürchte, ich war damals eine scheinheilige kleine Egoistin.« Terhi Pihlaja lächelte, doch es war ein nach innen gerichtetes Lächeln, das nicht uns galt.
»Wusste Ilari Länsimies, dass Lulu und du Klassenkameradinnen wart?«
»Woher denn? Für die Sendung wäre es natürlich ein dramatischer Effekt gewesen, aber die arme Lilli hat ihren Auftritt ja nicht mehr erlebt.«
»Hast du Lulus Karriere verfolgt?«
»Nicht aktiv, aber ich wusste natürlich davon. Aus lauter Neugier habe ich mir sogar einmal die Webseite der Frivolen Nachtigall angesehen. Das hat mich irgendwie furchtbar traurig gestimmt.«
Ich befragte Terhi Pihlaja eingehend nach Lulus Kindheit. Offenbar hatte Lulu den Lebensstil ihrer Eltern ebenso verachtet wie ihren Wohnort, dessen einziger Vorzug darin bestand, nur eine Stunde von Helsinki entfernt zu sein.
»Die Mäkinens waren offenbar richtig arm. Mein Bruder hat sie manchmal besucht, er war in derselben Fußballmannschaft wie Lillis Bruder. Der spielte in alten, kaputten Schuhen, die er von irgendwem geerbt hatte. Schon in den unteren Klassen musste Lilli in den Sommerferien auf der Erdbeerplantage arbeiten, und in der Oberstufe ging sie putzen. Eine harte Arbeit, bei der sie sich die Fingernägel ruinierte. Komisch, an was man sich alles erinnert, wenn man einmal anfängt.« Terhi schwieg eine Weile und sah ins Leere.
»Sie fuhr oft per Anhalter … Wir haben sie auch einmal aufgelesen, als wir nach Helsinki fuhren. Wir wollten für meine Mutter und mich Wintermäntel kaufen und waren schon bis Degerby gekommen, da stand Lilli im Herbststurm an der Kreuzung und hielt den Daumen hoch. Meine Mutter hatte Mitleid mit ihr und bat Vater, sie mitzunehmen, damit sie nicht von irgendeinem Verbrecher aufgelesen wird. Ich glaube, danach hat Lilli mich noch mehr gehasst. Die Tochter des Kantors kriegt ihre Mäntel in Helsinki gekauft, die braucht nicht auf den Pfennig zu gucken. Genau … Sie hat gesagt, mein Mantel wäre altjüngferlich. Da hatte sie sicher Recht, es war so ein dunkelblauer Steppmantel. Himmel nochmal, jetzt erinnere ich mich: Masa, ein Junge aus der Parallelklasse, in den ich hoffnungslos verliebt war, stand dabei, als sie über mich herzog. Natürlich habe ich mir die Augen aus dem Kopf geschämt. ›Terhi hüllt sich in einen Sack, damit nur ja keiner auf sündige Gedanken kommt.‹ Bestimmt hatte Lilli geahnt, dass ich für Masa schwärmte, für die Beziehungen zwischen Menschen hatte sie nämlich einen guten Blick.«
»Wie war sie in der Schule?«
»Mittelmäßig. Sie hatte keine Lust, sich groß anzustrengen, außer in den Fremdsprachen. Wahrscheinlich dachte sie, die könnte sie später brauchen. Die Hausaufgaben in Mathe schrieb sie
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