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Wer sich nicht fügen will

Wer sich nicht fügen will

Titel: Wer sich nicht fügen will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Letholainen
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hatte, die jedoch aufgehoben worden war.
    Als ich meinen Vortrag fertig hatte, vertauschte ich meinen hellvioletten Pullover mit einem schwarzen Rollkragenpulli und einem zur Hose passenden schwarzen Blazer. Dann steckte ich die Haare hoch und vergewisserte mich, dass mein Lippenstift nicht zu grell war. Katri Reponen hatte unser gemeinsames Blumengesteck besorgt und stand bereits wartend neben meinem Wagen. Obwohl sie im selben Gebäude arbeitete, sahen wir uns viel zu selten. Meine Schwiegermutter sagte manchmal halb im Scherz, sie treffe ihre Bekannten nur noch auf Beerdigungen. Mittlerweile schien ich in der gleichen Situation zu sein.
    »Es wundert mich, dass Allu kirchlich bestattet wird. Ich dachte, sie sei Atheistin gewesen. Deshalb habe ich es gewagt, ein so leuchtend rotes Gesteck zu nehmen.« Katri hielt mir das Rosengebinde hin, das sich auch als Brautstrauß gut gemacht hätte. Ich fand, es passte gut zu Allu.
    »Sie ist wieder in die Kirche eingetreten, als im Bistum Espoo die erste Bischofskandidatin aufgestellt wurde. Damit hatte sich die Kirche so weit verändert, dass sie wieder dabei sein konnte. Sie meinte, ein Mensch dürfe seine Ansicht ändern, solange nur das Herz am rechten Fleck bleibt.«
    »Kommst du anschließend noch mit zur Gedenkfeier?«
    »Nur kurz. Antti ist in Vaasa, meine Schwiegermutter hütet die Kinder. Ich muss sie pünktlich ablösen, weil ich sie morgen wieder brauche.«
    Wir sprachen eine Weile über berufliche Dinge. Wahrscheinlich würde Katri im Fall Lulu Nightingale die Anklage vertreten, sofern ich jemanden fand, der angeklagt werden konnte. In der Vorhalle der Kirche stand Leena und begrüßte die Trauergäste. Wir umarmten uns lange. Durch ihre dunklen Haare zogen sich bereits zahlreiche graue Fäden, es sah apart aus. Da auch ihr jüngstes Kind mittlerweile schon im Teenageralter war, schien mir ihr Leben viel freier als meins.
    Katri und ich setzten uns in eine der letzten Reihen. Als der Organist bereits mit dem Präludium begonnen hatte, schob sich neben mir noch jemand auf die Bank. Ich schaute zur Seite und erkannte Anna-Maija Mustajoki. Wir grüßten uns erstaunt. Dabei war es eigentlich kein Wunder, dass Anna-Maija zur Beerdigung kam, denn Allu hatte vor Jahren im Vorstand der Frauenrechtsorganisation Union gesessen.
    Nach dem Orgelvorspiel trat Terhi Pihlaja an den Altar. Ich war neugierig auf ihre Predigt. Pastoren, die leere Floskeln und inhaltslose Trostworte herunterbeteten oder ihre Worte nicht zu begründen wussten und sich deshalb hinter Bibelzitaten versteckten, waren mir zuwider. Manchmal schmunzelte ich über meine heftige Reaktion, die ja eigentlich zeigte, wie wichtig es mir war, dass Pastoren gut predigten.
    Trauerpredigten haben insofern Ähnlichkeit mit Vernehmungen, als bestimmte einleitende Sätze vorgeschrieben sind. Erst danach konnte die Pastorin frei sprechen.
    »Allu Viitanen ging ihren eigenen Weg. Sie wagte es, Dinge zu tun, vor denen andere zurückschreckten, sie kümmerte sich nicht um die öffentliche Meinung. Dennoch war sie anderen Menschen gegenüber nicht rücksichtslos, sie war eine warmherzige, gütige Frau, an die wir mit Liebe und Sehnsucht denken. Ich hatte das Glück, Allu Viitanen kennen zu lernen, als sie mich vor zwei Jahren anrief und bat, wieder in die Kirche aufgenommen zu werden, aus der sie schon in den fünfziger Jahren ausgetreten war. Vor ihrer endgültigen Entscheidung wollte sie sich jedoch mit mir unterhalten. Dieses Gespräch war der Auftakt zu einer Reihe von Begegnungen, die auch für mich fruchtbar und herausfordernd waren. Allu hatte den Mut, kritisch und unsicher zu sein, wagte es aber dennoch, in den Schoß der Kirche zurückzukehren, als deren Mitglied sie getauft worden war.«
    Viele von uns mussten unwillkürlich lächeln, als Terhi Pihlaja schilderte, wie Allu sich über den Rummel um den Roman Da Vinci Code aufgeregt hatte: »Erinnert sich denn niemand mehr an D. H. Lawrence? Mit seinem Buch Der Mann, der gestorben war attackierte er seinerzeit die Lehren der Kirche. Eigentlich ist es doch ein erfreulicher Gedanke, dass auch Jesus nicht auf alle fleischlichen Genüsse verzichten musste.« Offenbar war die Pastorin überzeugt, dass Allus Trauergemeinde ihre radikalen Äußerungen nicht vor das Domkapitel bringen würde. Mir traten schon deshalb Tränen in die Augen, weil Terhi so sprach, wie Allu es sich gewünscht hätte. Auch das Kirchenlied, das für den Trauergottesdienst ausgewählt worden

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