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Wer sich nicht fügen will

Wer sich nicht fügen will

Titel: Wer sich nicht fügen will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Letholainen
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wenn ich manchmal ins Tagebuch geschrieben habe, Lilli sei eine dumme, aufgetakelte Nutte und ich wäre lieber intelligent, als auszusehen wie sie.«
    »Du hast eine Frau namens Niina Räsänen erwähnt, mit der Lulu befreundet war. Wir haben versucht, uns mit ihr in Verbindung zu setzen. Sie wohnt heute in Basel. Sind Lulu und Niina womöglich zusammen in die Schweiz gereist?«
    »Richtig! Jetzt erinnere ich mich wieder. Lilli fuhr zuerst, Niina etwas später. Das habe ich von gemeinsamen Freunden erfahren, die über Niinas weiteres Leben aber auch nicht mehr wissen als ich. Ist sie auch in der Sexbranche?«
    »Nein, sie hat drei Kinder und betreibt mit ihrem Mann eine Gärtnerei. Warst du überrascht, als du hörtest, was Lulu in den letzten Jahren gemacht hat?«
    Terhi Pihlaja überlegte eine Weile. Ich sah kurz zu ihr hinüber, in ihren Augen lag Unsicherheit. Sie wollte mir nicht alles sagen, das spürte ich.
    »Ich weiß es nicht. Ich hoffe nur, sie hat ihren Beruf aus freien Stücken gewählt und nicht, um sich Geld für Drogen zu beschaffen.«
    »Bei der Autopsie wurden jedenfalls keine Drogenspuren gefunden. Sie hatte nur Alkohol im Blut.«
    Wir saßen eine Weile schweigend da, während wir auf Grün warteten, und ich hatte Zeit, ihr Profil zu betrachten. Auch sie hatte zur Trauerfeier nicht ihren üblichen roten Lippenstift aufgelegt, sondern sich betont unauffällig geschminkt. Ihr Profil wirkte ruhig, alltäglich, sympathisch.
    »Lilli hat sich für ihre Eltern geschämt. In dem Frühjahr, in dem wir Abitur machten, hatten die Mäkinens ein Sommerhaus in Barösund gekauft. Wir waren zufällig zur gleichen Zeit im Laden, um Backzutaten für die Abiturfeier zu kaufen, Lilli mit ihrer Mutter und ich mit meiner. Frau Mäkinen erzählte stolz von ihrem Sommerhaus mit eigener Sauna und allem Drum und Dran. Lilli rümpfte nur die Nase: Die Hütte hatte weder Strom noch fließendes Wasser und lag fünfhundert Meter vom Ufer entfernt. Sie flüsterte mir zu, sobald sie das Abi habe, werde sie abhauen. Und das hat sie dann auch getan, sie ist gleich am nächsten Tag in Turku auf die Fähre nach Schweden gegangen, und weg war sie.«
    Ich fuhr auf den Westring. In der Gegenrichtung staute sich der Verkehr, da es an der Zufahrt einen Auffahrunfall gegeben hatte. Auf dem Seitenstreifen standen drei Wagen, von denen der mittlere vorn und hinten, der vordere hinten und der hintere vorn zusammengedrückt war. Polizei und Rettungsdienst waren schon da. Neugierig hielt ich Ausschau nach den Kollegen, die dort im Einsatz waren, und erkannte Haikala und Suomalainen. Das Wort Polizei auf Suomalainens Overall war so verblichen, dass nur noch das i in der Mitte deutlich zu erkennen war. Terhi Pihlaja murmelte etwas vor sich hin. Nachdem wir die Unfallstelle passiert hatten, fragte sie, ob ich glaubte, dass Menschen zu Schaden gekommen waren.
    »Kommt auf das Tempo an. Am schlimmsten war es für die Leute im mittleren Wagen, aber es sieht nicht so aus, als hätte es Tote gegeben. Hoffen wir das Beste.«
    »Ja. Ich habe übrigens gestern darüber nachgedacht, was ich sagen würde, wenn ich bei Lillis Beerdigung sprechen müsste, und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass ich sie jedenfalls nicht verurteilen würde, obwohl ich gegen Prostitution bin. Das Phänomen als solches kann man missbilligen, aber wenn es um einzelne Menschen geht, wird es schwierig. Allu und ich waren uns zum Beispiel darüber einig, dass Maria Magdalena keine Ehrenrettung nötig hat. Es spielt keine Rolle, ob sie eine Prostituierte war. Sie liebte Jesus und er liebte sie. Das ist der eigentliche Kern: die Liebe. Vielleicht wollte Lulu auf ihre Weise denjenigen Liebe schenken, die von niemandem geliebt wurden. Aber wie war es mit ihr? Hat sie Liebe bekommen?«
    Ich dachte an Tero Sulonen, der Lulu angebetet hatte und von ihr ausgenutzt worden war.
    Die Liebe lief mitunter grausam verquer: Jemand glaubte, die Richtige gefunden zu haben, doch die hielt gerade ihn für den Falschen. Und zwei Menschen, die sich einmal gegenseitig für die Richtigen gehalten hatten, versäumten es, ihre Liebe zu pflegen, und ließen es zu, dass sie an den Widrigkeiten des Alltags zerbrach.
    »Wie definiert man Liebe? Lulu hat wohl mit ihrem Künstlernamen zum Ausdruck gebracht, wie sie ihren Beruf einschätzte«, antwortete ich.
    »Genau. Heute finden viele Jugendliche den Beruf des Pornostars sogar cool, dabei gerät allzu leicht in Vergessenheit, dass die allermeisten Prostituierten

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