Wer sich nicht fügen will
war, passte genau zu Allu: Geist der Wahrheit, führe uns. Ich hatte es seit Jahren nicht mehr gesungen, doch nun ging mir auf, dass die Worte sich auch als Motto meiner Arbeit eigneten.
Anna-Maija Mustajoki legte ihr Blumengebinde gemeinsam mit drei Frauen nieder, die in Tränen zerflossen. Katri und ich waren gefasster. Leena hatte verweinte Augen, wirkte aber ruhig, sie hatte Zeit gehabt, sich mit dem Tod ihrer Tante abzufinden. Da Allu später eingeäschert werden sollte, begaben wir uns nach der Kranzniederlegung direkt zur Gedenkfeier in Leenas Haus. In der Schlange am kalten Buffet fand ich mich erneut neben Anna-Maija Mustajoki wieder.
»Woher kanntest du Allu?«, fragte sie, und ich konnte ihr die Auskunft natürlich nicht verweigern.
»Ich bin mit ihrer Nichte befreundet.«
»Mit Leena? Sie war wie eine eigene Tochter für Allu. Ich dachte immer, Polizisten gingen nur zur Beerdigung von Mordopfern, um die Verdächtigen zu beobachten. Man vergisst leicht, dass ihr natürlich auch ein Privatleben habt.« Sie ging zu einem Fenstertisch, und ich folgte ihr. Da für ihre Vernehmung andere zuständig gewesen waren, hatte ich mir bisher nur eine vage Vorstellung von ihr machen können.
»Wann wird Lulu Nightingale beerdigt?«, fragte sie, als wir in der Nische angelangt waren, wo unsere Worte im Allgemeinen Stimmengewirr untergingen.
»Das weiß ich nicht. Von unserer Seite ist die Leiche jedenfalls freigegeben.«
»Es wird sicher in der Zeitung stehen, sie werden die arme Frau auch nach ihrem Tod nicht in Ruhe lassen. Ich hätte sie gern kennen gelernt. Ich selbst habe Jahre gebraucht, um über die erbärmliche Begegnung mit dem Stricher hinwegzukommen.« Sie steckte sich ein großes Stück Thunfischbrot in den Mund.
»Solltet ihr nicht im Voraus erfahren, wer die anderen Gäste sein würden. Hat das funktioniert?«
Sie lachte auf. »Ja und nein. Ich hatte die Show oft genug gesehen, um zu wissen, wie sie aufgezogen ist. Daher war ich sicher, dass eine Prostituierte und ein Freier anwesend sein würden, dazu jemand, der für die Kriminalisierung eintritt. Allerdings hatte ich einen konservativen Christen erwartet, keine intelligente Pastorin. Außerdem hatte ich angenommen, dass Länsimies keinen Polizisten, sondern einen Beamten aus dem Justizministerium einlädt, aber vielleicht war dieser Nordström die bessere Wahl. Weil ich ein neugieriger Mensch bin, habe ich natürlich Augen und Ohren offen gehalten. Als ich im Taxi vorfuhr, habe ich den Kombi einer Klempnerei vor dem Haus gesehen und mich gefragt, ob er einem Handwerker gehört, der im Haus arbeitet, oder einem der Gäste. Ich habe eben versucht, mich auf das einzustellen, was mir bevorstand.«
Ich nickte und trank einen Schluck Kaffee.
»Natürlich wusste ich, welche Rolle Länsimies mir zugedacht hatte: Ich sollte die alte, fette Emanze verkörpern, die den Männern die Lust verbieten will. Deshalb habe ich mich geweigert, mir die Haare zum Knoten hochstecken zu lassen. Länsimies hatte die Maskenbildnerin ganz offensichtlich in seinem Sinn instruiert, aber ich wollte über mein Image selbst entscheiden.«
»In deinen Memoiren habe ich gelesen, dass du Länsimies von früher kanntest. Außerdem bist du im selben Französischkurs wie Riitta Saarnio.«
»Ja, Riitta war auch diejenige, die mich zu der Talkshow eingeladen hat.« Anna-Maija wischte sich Thunfischcreme vom Kinn.
»Ilari hatte ich seit Jahren nicht mehr gesehen. Ein irritierender Kerl. Wenn er seinen Charme anknipst, kann man nicht umhin, ihn zu mögen.«
Ich verstand, was sie meinte. Länsimies war immer voll da, er genoss es, im Mittelpunkt zu stehen. Diese Selbstsicherheit wirkte auf viele Frauen anziehend und auf Männer überzeugend.
»Im Schminkraum herrschte eine gespannte Stimmung, die Maskenbildnerin wirkte besorgt. Ich nahm an, dass es Probleme mit dem Zeitplan gab. Riitta, die mich ins Studio brachte, führte sich fast hysterisch auf. Dass jemand vom Personal fehlte, war dafür keine plausible Erklärung, fand ich. Ich vermutete, dass etwas schief gelaufen war, eine Absage in letzter Minute oder Ähnliches, aber Länsimies war so selbstverliebt wie immer.«
Ich hatte den Eindruck, dass Anna-Maija Mustajoki eine geübte Beobachterin war, also ließ ich sie reden. Sie schilderte, was sie gehört hatte, während sie in der Garderobe auf ihren Auftritt wartete.
»Jemand telefonierte, es war eine Frau, aber sie sprach so leise, dass ich die Worte nicht verstehen konnte.
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