Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)
braucht eine Herz-Lungen-Leber-Maschine, eine künstliche Niere, einen Neuronentestator, Superspeed-Nähmaschinen – das ganze Arsenal der modernen Medizintechnik. Und ein eingespieltes Team!«
Timothy sah ihn fragend an.
»Neben dem Chefoperateur noch drei, besser vier Assistenten, zwei Anästhesisten – also mindestens einer. Und vier Schwestern. Das ist das Minimum. Je weniger Leute es sind, desto besser müssen sie aufeinander eingespielt sein.«
»Wie lange dauert die Vorbereitung?«
»Zwischen zwei und vierzehn Tagen, kommt darauf an, wie groß die Unverträglichkeitsspanne ist.«
»Der Patient muß also schon Tage vorher in der Klinik sein?«
»Nicht unbedingt. Wenn man seine Werte hat, genügt es, wenn er einen Tag vor der Operation kommt; angepaßt wird nicht der Patient, sondern das Transplantat.« Paddington blickte sich um, wohin er die leere Tasse stellen könnte. Timothy nahm sie ihm ab. »Aber es gibt anscheinend in ganz Chicago auch keinen Patienten, der auf einen zweiundfünfziger Unterschenkel wartet. Zumindest steht niemand auf den Wartelisten der offiziellen Kliniken und der registrierten Ärzte. Vielleicht bei den CAPOs 3 , sollten die keine eigenen Kliniken haben?«
»Die CAPOs!« Timothy lachte, daß ihm fast die Tasse aus der Hand gefallen wäre. »Was sind Sie doch für ein braver Bürger, Edward! Sie glauben wohl alles, was über Ihr Video flimmert? Die CAPOs sind nichts als eine Erfindung cleverer Journalisten und Public-Relations-Manager.«
»Wollen Sie behaupten, der ganze Kampf gegen die CAPOs sei nur –«
»Ein Märchen«, ergänzte Timothy, »eine hübsche Geschichte für naive Gemüter, damit die etwas zum Gruseln haben und nicht soviel über andere Dinge nachdenken.«
»Und die COSA NOSTRA, die MAFIA?«
»Das war einmal. Im vorigen Jahrhundert. Glauben Sie mir, Edward, es gibt längst keine Unterscheidung mehr zwischen sauberen und schmutzigen Unternehmen. Zumal die Ausnutzung der heutigen Gesetze in der Regel mehr Geld einbringt als ihre Verletzung. Die alten Verbrechersyndikate haben schon im vorigen Jahrhundert damit begonnen, ihr Geld in ganz normale Firmen zu stecken, und seit ihre Haupteinnahmequellen, Glücksspiel, Rauschgift und Prostitution, vor sechzig Jahren legalisiert und damit allen Kapitalgruppen öffentlich zugänglich wurden, haben sich auch die sogenannten seriösen Konzerne darauf gestürzt. Da geht es nur noch darum, wer welche Märkte beherrscht. Und wenn es darauf ankommt, greifen sie allesamt zum Verbrechen.«
Paddington sah ihn ungläubig an.
»Schon gut, lassen wir das.« Timothy blickte gedankenverloren zur Videowand, wo sich jetzt feine Wolkenschleier über einer fast spiegelglatten See bildeten. »Den Unterschenkel auszufliegen hat also keinen Sinn. Und in ganz Chicago gibt es weder eine Klinik für unseren Fall noch einen Arzt, noch einen Patienten. Warum, zum Teufel, hat man dann Ihr Eisbein gestohlen? Und auch noch zweimal umgetauscht. Warum wurde Carruthers ermordet?«
Paddington zuckte hilflos mit den Schultern. Timothy ließ den Kopf sinken. Es dauerte lange, bis er wieder den Professor ansah.
»Vergessen Sie alles«, sagte er mit Nachdruck. »Ich möchte, daß Sie zu niemandem darüber sprechen. Bitten Sie Hopkins, daß er seine Untersuchungen einstellt. Sagen Sie ihm, mit Carruthers’ Tod sei die Sache für Sie erledigt. Es wird auch kaum noch einen weiteren Diebstahl geben. Wer auch immer den Unterschenkel braucht, er scheint jetzt den richtigen zu haben. Und verraten Sie niemandem, daß Sie deshalb bei mir waren. Verlassen Sie morgen früh das ’Nebraska‹ so unauffällig wie möglich, und kommen Sie vorläufig nicht wieder her. Rufen Sie auch nicht an. Ein Toter ist genug.«
Timothy griff an das Schaltpult, kurz darauf füllte Musik den Raum, eine altertümliche Sinfonie aus dem 18. oder 19. Jahrhundert; Paddington hatte sie noch nie gehört. Er hockte auf dem Bettrand und traute sich nicht, Timothy in seinen Gedanken zu stören. Schließlich räusperte er sich; als das nichts half, stieß er Timothy an. Der drehte sich nur auf die Seite und begann zu schnarchen. Paddington ging ins Arbeitszimmer und legte sich auf einen der Sessel.
5.
Den nächsten Tag verbrachte Timothy mit fieberhafter Arbeit. Kaum daß er Professor Paddington verabschiedet hatte, bombardierte er alle möglichen Leute mit Anfragen, ließ sich immer neue Daten überspielen und diskutierte stundenlang mit Napoleon, bis ihm der Schädel brummte. Er sah
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