Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)
aber –«
»Bitte«, sagte Patton noch einmal und legte Timothy eine Schachtel Kristalle auf den Tisch. »Sehen Sie wenigstens das durch. Vielleicht können Sie mir einen Tip für die Polizei geben.«
»Was, zum Teufel, haben Sie davon?« knurrte Timothy.
»Alles«, sagte Patton leise. »Bitte.«
»Nun reden Sie schon.«
Patton schüttelte den Kopf. Er sah Timothy nicht an. Er starrte zu Napoleon hinüber, auf dessen Bauch das Bereitschaftslicht glimmte. Timothy beobachtete ihn. Als Patton es merkte, ließ er seinen Sessel um neunzig Grad schwenken, so daß er Timothy nur noch sein Profil bot, und schloß die Augen. »Ich flehe Sie an, Mister Truckle«, sagte er fast unhörbar, »tun Sie alles, was in Ihrer Macht steht. Vielleicht kann ich Sie –«
»Nun gut«, brummte Timothy. »Ich schau mal ’rein. Aber nur wegen Ihrer traurigen blauen Augen. Und sagen Sie nicht immer Mister Truckle zu mir. Für Sie bin ich Tiny.«
Patton ergriff impulsiv Timothys Hand und drückte sie. »Ich heiße Harold.«
»Okay, Harold, was haben wir denn als erstes?«
4.
Patton kam jeden Morgen kurz nach neun, und er brachte nicht nur Unterlagen und Antworten auf Timothys Fragen mit, sondern auch regelmäßig einen Korb voller Flaschen, und Timothy konnte sich ausrechnen, daß er bald einen zweiten Raum als Weinkeller einrichten müßte, wenn er sich noch lange an dem Fall aufhielt. Er trank in diesen Tagen kaum etwas.
Der Smog drückte auf Chicago. Timothys Wohnung lag zwar über der schmutziggelben Dunstschicht, die selbst am Nachmittag selten über das 75o. Stockwerk anquoll, aber sie reflektierte die Sonnenhitze, ließ sie an den Wänden des Wolkenkratzers hochbranden, und obwohl Timothy Unsummen für eine zusätzliche Klimaanlage ausgegeben hatte, stieg die Temperatur in seinem Appartement auf über dreißig Grad. Timothy dachte voller Wehmut und Neid an den gekühlten Park unter Brookers Privathimmel, aber er war zufrieden, daß es ihm wenigstens erspart blieb, jetzt in einer der unteren Etagen oder gar auf den kochenden Straßen sein zu müssen.
Sie gingen alle halbe Stunde unter die Luftdusche. Timothy hatte Angst, daß Napoleon durchbrennen könnte, und ließ alle umfangreichen Berechnungen über den Zentralcomputer abwickeln. Als Napoleon bei einer Nebenrechnung auf einen Fehler des Zentralcomputers stieß, ließ Timothy ihn zu jeder Untersuchung eine Kontrolle rechnen.
Doch so hart Timothy auch Napoleon, Patton, die Regierungskybernetiker und das FBI für sich arbeiten ließ und sich selbst nicht schonte, er kam zu keinem vernünftigen Schluß. Am Nachmittag des fünften Tages zog er mit Patton das Resümee. Das Ergebnis war niederschmetternd. Patton saß da, als hätte er sein Todesurteil erfahren. Wenn sie den Untersuchungen glauben wollten, konnten die Morde gar nicht geschehen sein.
Weaverly und Lloyd waren erstickt aufgefunden worden, ihre Lungen hatten keinen Sauerstoff mehr aufgenommen, aber warum?
Timothy mußte gestehen, daß er noch nie derart penible Obduktionsbefunde in der Hand gehabt hatte. Sie schlossen mit absoluter Gewißheit aus, daß Lloyd und Weaverly an irgendeiner Krankheit gelitten hatten. Man hatte Krebsviren in ihrem Blut gefunden. Aber die Bundespolizei hatte auf Brookers Anweisung genaue Untersuchungen bei Lloyd vorgenommen und dabei festgestellt, daß die Viren erst nach dessen Tod injiziert worden waren. Nachdem er erstickt war. Gift oder Drogeneinwirkung mußten ausgeschlossen werden, ganz abgesehen davon, daß weder Lloyd noch Weaverly etwas zu sich genommen hätten, ohne daß es vorher peinlich kontrolliert und eine Probe entnommen worden wäre, die achtundvierzig Stunden in einem Tresor aufbewahrt werden mußte. Man behauptete sogar, Weaverlys Frau hätte ihre Lippen immer erst auf eine Folie drücken müssen, bevor sie ihren Mann küssen durfte. Die Untersuchungen schlossen auch aus, daß ihre Herzen oder Lungen plötzlich versagt oder das Blut sich geweigert hätte, Sauerstoff in die Körperzellen zu transportieren. Und sie hatten auch nicht statt des gewohnten Luftgemisches ein anderes, sauerstofffreies Gas eingeatmet. Die Klimaanlagen hatten einwandfrei funktioniert. Kaum etwas war jemals so sorgfältig geprüft worden. Die Ärzte, die die Obduktionen durchgeführt hatten, waren bereit zu schwören, daß sowohl Weaverly als auch Lloyd in den letzten vierundzwanzig Stunden vor ihrem Tod nichts anderes geatmet haben konnten als die beste Luft, die für Geld zu haben war. Das FBI
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