Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)
hatte die Räume, in denen die beiden gestorben waren, trotzdem buchstäblich auseinandergenommen und nicht die geringste Spur von einem fremden Gas gefunden.
Alles in allem: Weaverly und Lloyd müßten eigentlich noch leben.
Dabei gab es genügend Leute, die ein hinreichendes Motiv für die Morde gehabt hätten; die Bigbosse der UNITED CHEMICAL zählten schließlich zu den meistgehaßten Menschen der Staaten. Aber Timothy versuchte gar nicht erst, sich einen Überblick über alle zu verschaffen, die ein Motiv gehabt haben konnten, denn wer auch immer Lloyd und Weaverly getötet hatte, er mußte Gelegenheit gefunden haben, an die Ermordeten heranzukommen. Aber wie? Beide waren in ihren Arbeitszimmern gestorben. Mitten in ihren Inneren Reichen, abgeschirmt und beschützt von Dutzenden hochbezahlter Leute und von den besten Sicherheitssystemen der Welt. Sie waren in ihren letzten Stunden allein gewesen. Sie hatten sich zurückgezogen und wollten nicht gestört werden, und wenn sie das sagten, dann war es Gesetz. Und es schien tatsächlich niemand in den fraglichen Stunden bei ihnen gewesen zu sein.
Wer in das Innere Reich wollte, mußte sich in der Schleuse vor den Bildschirm stellen und wurde optisch registriert, auch wenn er die Genehmigung zum Eintritt nicht erhielt. Doch niemand hatte sich um Eintritt beworben. Wenn man nicht jeden Glauben an die Zuverlässigkeit technischer Präzision aufgeben wollte, hatte niemand außer den Toten sich im Inneren Reich aufgehalten. Die Familien waren außerhalb, die Junioren in der Stadt gewesen. Ihre Alibis waren einwandfrei. Sie selbst hatten bei ihrer Rückkehr ihre toten Väter gefunden, weil keiner der Bediensteten sich getraut hätte, ohne Aufforderung in das Innere Reich einzudringen.
Timothy fragte Patton, wie lange die Juniorchefs gebraucht hätten, bis sie den Tod ihrer Väter festgestellt und bekanntgegeben hätten, aber Patton lachte nur.
»Fehlanzeige. Darauf sind andere auch gekommen. Selbst wenn die jungen Leute, die übrigens auch schon gesetzte Herren sind, über magische Kräfte verfügten, mit deren Hilfe sie ihre Väter am Luftholen gehindert hätten, sie sind an diesen Tagen nicht allein nach Hause gekommen, und es waren jedesmal Zeugen dabei, Dienstboten, aber auch angesehene Leute, Freunde aus dem Club, und sowohl Lloyd als auch Weaverly waren schon mindestens eine Stunde tot, als man sie fand.«
»Dann«, sagte Timothy, »haben wir eine historische Stunde erlebt. Den unmöglichen Mord.« Er goß sich einen dreistöckigen »Johnny Walker« ein. »Tut mir leid, Harold, ich gebe auf.«
5.
Am nächsten Morgen sortierte Timothy Napoleons Arbeiten aus dem Wust von Berichten, Aussagen, Berechnungen und Kontrollrechnungen heraus, bevor er die Folien und Kristalle in das Maul des Manipulators fallen ließ, der sie in handliche Container packte. Was für eine Menge Zeugs Patton angeschleppt hatte. Und er hatte alles umsonst durchgearbeitet. Nicht umsonst, aber ohne Ergebnis, und das kränkte ihn mindestens ebenso wie der Verlust seiner Sonderprämie, die er sich in Gedanken schon zusammengestellt hatte. Patton wußte auch über Brookers Weinkeller gut Bescheid.
Timothys einziges Vergnügen in dieser Morgenstunde war es, noch einmal Napoleons Schlußfragen zu lesen, eine Ansammlung absurder Gedanken, wie sie eben nur einem elektronischen Gehirn entspringen können, das sich in seinem bornierten Drang nach Vollständigkeit keinen Gedanken versagte.
Napoleon mußte halt auch bei den eindeutigsten und unzweifelhaftesten Ergebnissen das letzte Wort haben und noch eine Frage hinterherschicken. Zuweilen ärgerte sich Timothy darüber, meistens lachte er, ja, er sammelte Napoleons »letzte Worte« und hatte sogar schon daran gedacht, sie eines Tages als Beispiele absurden Humors zu veröffentlichen. Diesmal jedoch hatte Napoleon in seiner sturen Nach-Denklichkeit eine Frage gestellt, die Timothy aufmerken ließ. Napoleon hatte die automatischen Aufzeichnungen von Lloyds Klimaanlage kontrolliert und bestätigt, daß die ganze Zeit ausreichend Luft in das Arbeitszimmer gepumpt worden war, die Abweichung von der Norm hatte nie mehr als 0,15 Prozent des zugelassenen Limits betragen. Napoleon fragte nun: Wieviel ist 0,15 Prozent?
Timothy wartete ungeduldig, bis Patton erschien. »Setzen Sie sich gar nicht erst, Harold«, empfing er ihn, »Napoleon und ich haben eine Frage.«
Patton war froh, gleich wieder starten zu können. »Solange Sie Fragen haben, Tiny, muß ich
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