Wer stirbt, entscheidest du
gebracht sein würde und mein Mann und meine Tochter neben mir stünden und meine Hände hielten.
Aber dieses Glück war mir nicht beschieden.
Stattdessen verbrachte ich eine Nacht im Krankenhaus. Montagmorgen nahm mich die Polizei fest und setzte Plan B in Gang.
Bei allen R-Gesprächen, die vom Gefängnis ausgehen, wird der Empfänger per Automatenstimme darauf hingewiesen, woher der Anruf kommt, und gefragt, ob er die Kosten dafür zu zahlen bereit ist.
Das war auch für mich am Montagabend die Frage aller Fragen, als ich im Aufenthaltsraum mit zitternder Hand Julianas Nummer wählte. Dass sie sich für Ja entschied, überraschte, glaube ich, nicht nur mich, sondern auch sie selbst. Wahrscheinlich bereute sie es schon Sekunden später.
Weil alle Anrufe aufgezeichnet wurden, hütete ich mich, ein falsches Wort zu sagen.
«Wozu sind Freunde gut?», fragte ich mit gebrochenem Herzen und hörte, wie Juliana nach Luft schnappte.
«Ich hätte eine Freundin nötig», fuhr ich eilig fort, bevor Juliana das einzig Vernünftige tun konnte, nämlich auflegen. «Morgen Nachmittag. Ich rufe wieder an. Wozu sind Freunde gut?»
Dann legte ich auf, denn der Klang ihrer Stimme trieb mir Tränen in die Augen, und ich konnte es mir im Gefängnis nicht leisten zu weinen.
Nachdem ich Officer Fiske ausgeschaltet und mir sein Handy genommen hatte, rannte ich gut hundert Meter über den festgefahrenen Schnee bis zu einer großen Fichte. Im Schutz der weit ausladenden grünen Zweige wählte ich hastig Julianas Nummer und holte den kleinen wasserdichten Beutel aus dem Geäst, den ich dort deponiert hatte.
«Hallo?»
Ich sprach schnell. Nannte GPS-Koordinaten und listete auf, was ich brauchte. Ich hatte die vierundzwanzig Stunden Gefängnis genutzt, um meine Flucht zu planen, und an alles gedacht.
Juliana widersprach kein einziges Mal. Wozu sind Freunde gut?
Es bestand natürlich die Möglichkeit, dass sie gleich nach meinem Anruf die Cops verständigen würde. Aber damit rechnete ich nicht wirklich. Denn das letzte Mal war unser Losungswort von ihr ausgegangen, nachdem sie auf ihren Bruder geschossen und mir die Waffe zugesteckt hatte.
Ich legte Officer Fiskes Handy weg und öffnete den Beutel. Darin war Brians Glock, Kaliber .40, die ich aus unserem Schließfach genommen hatte.
Er brauchte sie nicht mehr. Ich schon.
Als der silberne SUV auf der Hauptstraße neben mir anhielt, lagen meine Nerven blank. Die Pistole in der Tasche meiner schwarzen Jacke und die Arme um die Brust geschlungen, hatte ich immer wieder zurückgeblickt, gefasst darauf, mich in Deckung bringen zu müssen, falls einer der Kollegen am Waldrand auftauchte oder ein Streifenwagen vorbeikam, womit jederzeit zu rechnen war. Wenn ich nicht rechtzeitig in Deckung ginge und entdeckte würde, wäre es in null Komma nichts um mich geschehen.
Ich musste höllisch aufpassen, mich beeilen, mich verstecken.
Aus der zunehmenden Dunkelheit tauchte ein Fahrzeug mit aufgeblendeten Scheinwerfern auf. Es kam langsam näher, zögernd, als suchte der Fahrer etwas. Immerhin schien es kein Streifenwagen zu sein, denn es war kein Aufbau mit Blaulichtern darauf zu erkennen.
Ich holte tief Luft und trat auf die Straße hinaus. Die Scheinwerfer fielen auf mein Gesicht. Der SUV bremste scharf ab.
Juliana war gekommen.
Ich kletterte schnell auf die Rückbank und hatte kaum die Tür hinter mir zugezogen, als sie schon durchstartete, so schnell, dass es mich auf den Boden warf. Dort blieb ich sicherheitshalber liegen.
Ein Kindersitz, leer bis auf eine Babydecke, vor kurzem noch in Gebrauch. Ich weiß nicht, warum mich das so überraschte. Ich hatte ein Kind. Warum nicht auch Juliana?
Als Mädchen hatten wir uns vorgenommen, Zwillingsbrüder zu heiraten, Haus an Haus zu wohnen und unsere Kinder gemeinsam großzuziehen. Juliana wünschte sich drei Kinder, zwei Jungen und ein Mädchen, für die sie wie ihre Mom den ganzen Tag im Haus sein wollte. Ich wollte zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen. Außerdem wollte ich einen Spielzeugladen aufmachen, in dem ihre Kinder natürlich Familienrabatt bekommen würden.
Neben dem Kindersitz lag ein dunkelgrüner Matchbeutel. Ich richtete mich auf den Knien auf, hielt aber den Kopf geduckt, damit man mich nicht durchs Fenster sehen konnte, und öffnete den Beutel. Er enthielt all das, worum ich gebeten hatte – Anziehsachen, allesamt schwarz. Frische Unterwäsche und zwei zusätzliche Tops. Eine Schere, Make-up, eine Kappe und
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