Wer stirbt, entscheidest du
Handschuhe.
Hundertfünfzig Dollar in kleinen Scheinen. Mehr hatte sie auf die Schnelle anscheinend nicht zusammenkratzen können.
Ich fragte mich, ob diese Summe für Juliana viel Geld war. Über ihre derzeitigen Verhältnisse wusste ich schließlich nichts.
Ich zog die Klamotten aus dem Beutel und legte sie auf die Rückbank. Es waren ein paar akrobatische Verrenkungen nötig, bis ich den orangefarbenen Overall abgestreift und stattdessen eine Jeans und einen Rollkragenpullover angezogen hatte. Dann drehte ich meine Haare auf und ließ sie unter der Baseballkappe verschwinden.
Unwillkürlich warf ich einen Blick in den Rückspiegel.
Juliana betrachtete mich. Ihre Lippen waren ein Strich, fest aufeinandergepresst, und die Hände am Lenkrad zeigten weiße Knöchel.
Wöchnerin , dachte ich sofort, denn Juliana sah so aus wie eine aufgelöste junge Mutter, die nachts nicht schlafen konnte und überrascht war, festzustellen, dass die ersten Wochen härter waren als gedacht. Sie schaute weg und richtete den Blick auf die Straße.
Ich setzte mich auf die Rückbank.
«Danke», sagte ich endlich.
Sie antwortete nicht.
Das Schweigen hielt gut vierzig Minuten an. Es hatte zu schneien begonnen, leicht zuerst, dann so heftig, dass Juliana mit dem Tempo heruntergehen musste.
Auf meine Bitte hin schaltete sie das Radio ein und suchte einen Nachrichtensender. Meine Flucht blieb unerwähnt. D.D. Warren und ihr Team mussten sich von meiner kleinen Überraschung wohl noch erholen und hielten den Deckel drauf.
Verständlich. Welcher Cop mochte schon zugeben, dass ihm ein Häftling durch die Lappen gegangen war, zumal wenn er davon ausgehen konnte, ihn bald wieder eingefangen zu haben. Für Detective Warren war ich allein und zu Fuß unterwegs; sie glaubte wohl, mich spätestens in einer Stunde stellen zu können.
Ich musste sie enttäuschen und war stolz auf mich, die Sprengsätze mit den druckempfindlichen Zündern so clever angebracht zu haben, dass sie im Schutz des umgekippten Baums dem Suchtrupp nicht gefährlich werden konnten. So hoffe ich zumindest. Wie die Sache ausgegangen war, wusste ich natürlich nicht.
Ich hatte hinter Officer Fiske gesessen und mir fast vor Angst in die Hose gemacht.
Der SUV bremste ab. Juliana hatte den Blinker gesetzt, um vom Highway in die Route 9 einzubiegen. Sie war die ganze Strecke langsamer gefahren als nötig, mit beiden Händen am Steuerrad und immer den Blick konzentriert nach vorn. Die perfekte Fluchthilfe.
Unser Abenteuer war fast überstanden, und ich sah, dass ihre Unterlippe zitterte. Sie hatte Angst.
Ich fragte mich, ob sie mich tatsächlich für die Mörderin meines Mannes und meines eigenen Kindes hielt. Vielleicht hätte ich einen solchen Verdacht empört von mir weisen sollen, doch das tat ich nicht.
Ich dachte, sie müsse es doch eigentlich besser wissen.
Zwölf Minuten noch. Mehr brauchte es nicht, um die Zeit zurückzudrehen und in meine alte Nachbarschaft zurückzukehren. Wir fuhren an ihrem alten Haus vorbei, gleich darauf an der schäbigen Hütte meiner Eltern.
Juliana schaute nicht hin. Sie seufzte nicht einmal nostalgisch und sagte kein einziges Wort.
Nach zwei weiteren Kurven waren wir vor der Werkstatt meines Vaters angekommen.
Sie fuhr rechts ran und schaltete die Scheinwerfer aus.
Es schneite in dicken Flocken. Die dunkle Welt war weiß.
Ich sammelte meine Sachen zusammen und steckte sie zurück in den Matchbeutel, den ich mitnehmen wollte. Nur keine Beweismittel zurücklassen.
«Wenn du wieder zu Hause bist», sagte ich, überrascht, wie laut meine Stimme in der Stille klang, «dann mach im Wagen bitte gründlich sauber. Gib ein bisschen Ammoniak ins warme Wasser. Das lässt die Fingerabdrücke verschwinden.»
Juliana schaute mich über den Rückspiegel an ohne ein Wort zu sagen.
«Die Polizei wird dich finden», fuhr ich fort. «Wahrscheinlich über meinen Anruf von gestern Abend aus dem Gefängnis. Eine andere Spur gibt es nicht, also werden sie ihr folgen. Erzähl ihnen einfach die Wahrheit. Den Wortlaut unseres Gesprächs. Das ist sowieso aufgezeichnet worden. Du sagst ihnen also nur, was sie ohnehin schon wissen. Und verfänglich ist das ja auch nicht.»
Juliana sah mich immer noch wortlos an.
«Der Anruf von heute wird ihnen nicht weiterhelfen», versicherte ich ihr. «Er lässt sich allenfalls auf ein Handy zurückverfolgen, das jemand anderem gehört. Ich werde es mit einem Schweißbrenner bearbeiten, damit es nichts mehr hergibt.
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