Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer stirbt, entscheidest du

Wer stirbt, entscheidest du

Titel: Wer stirbt, entscheidest du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
Vom Netzwerk:
und ich musste die Ärmel hochkrempeln, um meine Hände frei zu haben.
    Es war Premiere für mich, das Hemd eines Mannes zu tragen, den ich vorhatte zu töten. Irgendwie seltsam intim kam mir das vor, fast so, als wenn man in den Halbschuhen des Geliebten steckte und nach dem ersten Mal neben ihm im Bett läge.
    Du bist zu weit gegangen , dachte ich, hast schon einen Teil von dir eingebüßt . Ich suchte meine Tochter und entdeckte Abgründe in mir, von denen ich nichts gewusst hatte. Würde es meine Schmerzen lindern, wenn ich Sophie fände? Würde ihre Liebe wieder Licht in diese Dunkelheit bringen?
    Aber was zählte das? Für mein Kind würde ich mein Leben geben. Was zählte da der Wunsch, bei Verstand zu bleiben?
    Mit der Flinte bewaffnet, ging ich wieder nach draußen, wo Purcell mit geschlossenen Augen am Boden kauerte. Ich dachte, er wäre bewusstlos, doch als er den Schnee unter meinen Füßen knirschen hörte, öffnete er die Augen.
    Er war kreidebleich im Gesicht. Trotz der eisigen Temperaturen hatten sich Schweißperlen auf seiner Oberlippe gebildet. Er blutete immer noch und wusste wahrscheinlich, dass es bald vorbei sein würde mit ihm, worauf er bemerkenswert gelassen reagierte.
    Purcell war alte Schule. Mit dem Schwert leben, durch das Schwert sterben.
    Das machte es mir nicht leichter.
    Ich ging neben ihm in die Hocke.
    «Soll ich dich runter in den Keller bringen?», fragte ich.
    Er zuckte mit den Achseln.
    «Wir könnten mal die Rollen tauschen. Du auf dem Tisch, ich davor.»
    Wieder nur Schulterzucken.
    «Du hast recht. Ich werde das Besteck lieber hochholen. Dich elenden Sack nach unten zu schleppen ist mir zu anstrengend.»
    Ich wünschte plötzlich, Purcell hätte Frau und Kind. Wie würde ich mich dann verhalten? Ich wusste es nicht, wollte ihn aber in vollem Umfang spüren lassen, was er mir angetan hatte.
    Ich legte die Flinte ab, außer Reichweite für Purcell. Dann zog ich mit der Linken das KA-BAR-Messer.
    Purcell starrte auf die Klinge, sagte aber immer noch nichts.
    «Du wirst sterben, durch die Hand einer Frau», sagte ich und sah endlich zu meiner Genugtuung, dass seine Nasenflügel bebten. Sein Ego. Natürlich. Nichts konnte einen Mann schwerer demütigen, als einer Frau zu unterliegen.
    «Erinnerst du dich, was du mir in meiner Küche gesagt hast?», flüsterte ich. «Du sagtest, wenn ich kooperiere, würde niemandem ein Haar gekrümmt. Du sagtest, wenn ich dir meine Dienstwaffe aushändigte, bliebe meine Familie verschont. Aber gleich darauf musste mein Mann dran glauben.»
    Ich fuhr mit dem Messer über sein Hemd und schnitt einen Knopf nach dem anderen ab. Darunter trug Purcell ein schwarzes Unterhemd und das passende Goldkettchen.
    Ich pflanzte die Messerspitze in die dünne Baumwolle.
    Fasziniert starrte Purcell auf die Klinge. Ich sah förmlich, wie seine Vorstellung in Schwung kam, wie er sich ausmalte, was ein so großes, scharf geschliffenes Messer anzurichten vermochte. Während er, an einen Wasserhahn gefesselt, vor der Außenwand seines Hauses lehnte. Hilflos. Verletzlich.
    «Ich werde dich nicht töten», sagte ich und schlitzte ihm das schwarze T-Shirt auf.
    Purcell starrte mich verwundert an.
    «Den Gefallen werde ich dir nicht tun, dass du während der Ausübung deiner Pflicht abtrittst, wie es sich für einen ehrenwerten Gangster gehört.»
    Der letzte Hemdknopf war abgetrennt, das T-Shirt aufgeschnitten.
    Mit der Klinge schob ich die Stofflagen beiseite. Sein Bauch war überraschend fahl, ein bisschen breiter als die Hüfte, aber durchaus gut definiert. Ein Boxerrumpf. Fitness war in seinem Gewerbe unerlässlich. Ein paar Muskeln brauchte man schon, um bewusstlose Opfer in den Keller zu schaffen und auf den Tisch zu schnallen.
    Ohne ein gewisses Quantum an Kraft ließ sich nicht einmal ein sechsjähriges Mädchen, das sich wehrte, bezwingen.
    Ich legte seine Schulter frei. Gänsehaut hatte sich darauf gebildet. Seine Brustwarzen waren hart.
    «Du hast meinen Mann genau hier erwischt», murmelte ich und markierte die Stelle mit der Klingenspitze. Blut quoll aus dem x-förmigen Einschnitt, den so präzise nur eine sehr scharfe Klinge zustande brachte. Shane hatte sein Werkzeug gut gepflegt.
    «Der zweite Schuss landete hier.» Wieder ritzte ich ein X ein, vielleicht ein bisschen tiefer, denn Purcell zischte durch seine zusammengebissenen Zähne und fing zu zittern an.
    «Der dritte – hier.» Diesmal war der Einschnitt deutlich zu tief. Als ich das Messer hob, rann

Weitere Kostenlose Bücher