Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer stirbt, entscheidest du

Wer stirbt, entscheidest du

Titel: Wer stirbt, entscheidest du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
Vom Netzwerk:
energisch, wie D.D. fand.
    «Meine Tochter braucht Sie», hauchte Tessa Leoni, als Marla ihre andere Hand ergriff und eine Kanüle in den Unterarm steckte.
    «Natürlich», sagte D.D.
    «Sie müssen sie finden. Versprechen Sie mir das.»
    «Wir tun unser Bestes –»
    «Versprechen Sie’s mir!»
    «Okay, okay», hörte sich D.D. sagen. «Wir finden sie. Natürlich. Sie kommen jetzt erst einmal ins Krankenhaus. Erholen Sie sich gut.»
    Marla und ihr Partner halfen Leoni zur Trage. Doch sie wehrte sich, versuchte die beiden abzuschütteln und D.D. näher an sich heranzuziehen. Die Sanitäter aber hatten sie innerhalb von Sekunden hingelegt und festgeschnallt. Trooper Lyons folgte ihnen nach draußen.
    Der Anwalt schloss sich D.D. an, als sie den Wintergarten in Richtung Küche verließ, und steckte ihr seine Visitenkarte zu. «Ich bin sicher, Sie wissen, dass die soeben gemachten Aussagen vor Gericht keinen Bestand haben werden. Meine Mandantin ist erstens nicht von ihren Rechten zurückgetreten und leidet zweitens an einer schweren Gehirnerschütterung.»
    Nachdem er dies gesagt hatte, ging auch der Anwalt und ließ D.D. und Bobby allein in der Küche zurück. D.D. brauchte sich nicht mehr die Nase zuzuhalten. Sie war noch so in Gedanken an das Gespräch mit Officer Leoni, dass sie den Geruch gar nicht bemerkte.
    «Kommt es mir nur so vor», sagte sie, «oder hat tatsächlich jemand Tessa Leonis Gesicht mit einem Fleischklopfer behandelt?»
    «Und trotzdem hat sie keine einzige Schramme an ihren Händen», bemerkte Bobby. «Nicht einmal abgebrochene Fingernägel oder geprellte Knöchel.»
    «Sie wurde zusammengeschlagen und hat sich nicht gewehrt?», fragte D.D. skeptisch.
    «Scheint so, jedenfalls nicht bis zur Schussabgabe.»
    D.D. verdrehte die Augen. Sie war perplex, und das gefiel ihr nicht. Tessa Leonis Gesichtsverletzungen waren echt, wie auch ihre Sorge um die verschwundene Tochter. Alles andere aber … die fehlenden Spuren einer versuchten Verteidigung oder die Tatsache, dass sie als ausgebildete Polizistin zur Schusswaffe gegriffen hatte, obwohl ihr Einsatzkoppel auch andere Möglichkeiten der Selbstverteidigung bereithielt, dass sie eine sehr emotionale Erklärung abgelegt, gleichzeitig aber jeden Augenkontakt vermieden hatte …
    D.D. behagte das alles überhaupt nicht. Am meisten störte sie, von einer Kollegin am Arm festgehalten und angefleht worden zu sein, ihr vermisstes Kind ausfindig zu machen.
    Eine Sechsjährige, die schreckliche Angst vorm Dunkeln hatte.
    O Gott. Dieser Fall ging an die Nieren.
    «Die Eheleute hatten also Krach», resümierte Bobby. «Er hat sie überwältigt und zu Boden gestoßen, worauf sie die Waffe gezogen hat. Erst danach fällt ihr auf, dass ihre Tochter verschwunden ist. Und dass sie gerade die einzige Person erschossen hat, die ihr womöglich hätte sagen können, wo sie steckt.»
    D.D. nickte nachdenklich. «Frage: Wie handelt ein Trooper spontan? Schützt er sich oder andere?»
    «Andere.»
    «Und was steht für eine Mutter an erster Stelle? Ihr eigener Schutz oder der ihres Kindes?»
    «Der ihres Kindes.»
    «Trooper Leonis Tochter ist verschwunden. Und was macht sie zuerst? Sie ruft ihren Gewerkschaftsvertreter an und lässt einen Anwalt kommen.»
    «Vielleicht ist sie keine gute Polizistin», sagte Bobby.
    «Vielleicht ist sie keine gute Mutter», erwiderte D.D.

[zur Inhaltsübersicht]
    6. Kapitel
    Ich verliebte mich, als ich acht Jahre alt war. Nicht so, wie Sie denken. Ich war auf den Baum im Vorgarten geklettert, hockte auf dem untersten Ast und starrte auf den kleinen Flecken verbrannten Rasens unter mir. Mein Vater war vermutlich arbeiten. Er hatte seine eigene Werkstatt, die er morgens meist schon um sechs aufschloss und abends erst nach fünf verließ. Meine Mutter schlief wahrscheinlich. Sie verbrachte ihre Tage im abgedunkelten Schlafzimmer. Manchmal rief sie mich und wollte, dass ich ihr etwas bringe – ein Glas Wasser, ein paar Kekse. Aber meistens wartete sie auf die Rückkehr meines Vaters.
    Er machte dann für uns das Abendessen. Wenn es fertig war, schlurfte meine Mutter endlich aus ihrer dunklen Höhle und setzte sich zu uns an den kleinen runden Tisch. Sie lächelte, wenn er ihr die Kartoffeln reichte, und kaute mechanisch, während er von der Arbeit erzählte.
    Hatten wir zu Ende gegessen, kehrte sie in ihr Schattenreich zurück; ihr tägliches Kontingent an Energie war erschöpft. Ich machte den Abwasch. Mein Vater schaute fern. Um neun

Weitere Kostenlose Bücher