Wer stirbt, entscheidest du
weiß nicht. Aber wir leben schließlich in Boston. Solche Dinge passieren.»
«Es gibt keine Hinweise auf einen Einbruch», erwiderte D.D. ruhig, um Mrs. Ennis Zeit zu lassen, sich zu besinnen. «Tessa hat gestanden, auf ihren Mann geschossen zu haben. Wir versuchen jetzt, den Tathergang zu klären und herauszufinden, wo die Kleine ist.»
«O mein Gott, o …» Mrs. Ennis hob die Hand vom Mund über die Augen. Sie weinte. «Ich hätte nie gedacht … So aufbrausend Brian manchmal auch war, ich hätte nie gedacht, dass so etwas passieren könnte. Er war doch oft auf See. Wenn es so schlimm um die beiden gestanden hätte, warum haben Tessa und Sophie ihn nicht verlassen, als er wieder einmal unterwegs war? Ich hätte ihnen geholfen. Darauf konnte sich Tessa verlassen.»
«Gute Frage», sagte D.D. sanft. «Warum haben die beiden ihn nicht verlassen, als sie Gelegenheit dazu hatten?»
«Hat Sophie von der Schule erzählt?», meldete sich Bobby zurück. «Gefällt es ihr dort, oder gibt’s Probleme?»
«Sie geht richtig gern zur Schule. Erste Klasse. Bei Mrs. DiPace. Mit ein bisschen Unterstützung kann Sophie schon Junie-B.-Jones-Geschichten lesen. Sie ist blitzgescheit. Und ein gutes Mädchen … Wenn Sie die Namen des Rektors und der Lehrer wissen wollen – ich habe eine vollständige Liste, weil ich Sophie oft zur Schule bringe. Alle können über sie nur Gutes berichten und … ach, wie schrecklich das alles ist …»
Mrs. Ennis war aufgestanden und tappte ziellos umher, bis sie sich zu erinnern schien, was sie eigentlich hatte tun wollen. Sie trat vor einen kleinen Tisch neben dem Sofa, öffnete die Schublade und holte etwas daraus hervor.
«Bietet die Schule noch weitere Aktivitäten an?», fragte D.D.
«Es gibt da diese Kunstwerkstatt. Jeden Montagnachmittag. Sophie ist ganz begeistert davon.»
«Nehmen auch Eltern daran teil?», wollte Bobby wissen.
D.D. hatte diese Frage selbst anschließen wollen und nickte. Über andere Eltern ließen sich vielleicht aufschlussreiche Informationen einholen.
Mrs. Ennis wandte sich ihnen wieder zu und hielt mehrere Papiere in der Hand – einen Schulkalender, Kontaktadressen und eine Telefonkette, über die sich die Elternschaft kurzschließen konnte.
«Kennen Sie vielleicht jemanden, der nicht gut auf Sophie zu sprechen war?», fragte D.D. so schonend wie möglich.
Mrs. Ennis schüttelte den Kopf. Sie war merklich angegriffen.
«Falls sie wirklich weggelaufen ist, wissen Sie, wo sie sich versteckt haben könnte?»
«Im Baum», antwortete Mrs. Ennis prompt. «Wenn sie für sich sein will, klettert sie in die große Eiche hinterm Haus. Tessa sagt, dass sie als Kind dieselbe Vorliebe hatte.»
Bobby und D.D. nickten. Sie hatten den kahlen Baum bereits in Augenschein genommen.
«Wenn Sie zum Haus von Tessa und Brian fahren, nehmen Sie dann den Bus?», fragte D.D. Sie und Bobby waren vom Sofa aufgestanden.
«Ja.»
«Hat Sophie Sie schon einmal begleitet? Kommt sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln eventuell allein zurecht?»
«Wir sind zusammen Bus gefahren. Aber ich glaube nicht, dass sie …» Mrs. Ennis stockte. Ihre dunklen Augen leuchteten auf. «Was ein Ticket kostet, weiß sie schon. Als wir das letzte Mal gefahren sind, hat sie das Geld abgezählt. Und sie ist sehr abenteuerlustig. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass sie auf eigene Faust in einen Bus steigt.»
«Danke, Mrs. Ennis. Wenn Ihnen noch irgendetwas einfällt …» D.D. reichte ihr ihre Visitenkarte.
Bobby öffnete die Tür. Als D.D. in den Flur hinaustrat, drehte er sich noch einmal um.
«Sie sagten, Tessa und Brian hätten sich über einen Officer kennengelernt. Wissen Sie, wer das sein könnte?»
«Wenn ich mich recht erinnere, war es während einer Picknickparty.» Die alte Dame dachte nach. «Shane. Das war der Name, den Tessa genannt hat. Bei ihm hat die Party stattgefunden.»
Bobby bedankte sich und folgte D.D. ins Treppenhaus.
«Wer ist Shane?» fragte D.D., als sie in die frostige Luft hinaustraten.
«Ich tippe mal auf Trooper Shane Lyons», antwortete Bobby. «Er hat auch in der Framingham-Kaserne gewohnt.»
D.D. streifte ihre Handschuhe über. «Das ist doch der Gewerkschaftsvertreter.»
«Genau. Und der Officer, der als Erster zum Tatort gerufen wurde.»
«Dann werden wir uns den als Nächsten vorknöpfen.» D.D. schaute zum Horizont und stellte bestürzt fest, dass es bereits zu dämmern begann. «O nein, Bobby … Es wird gleich dunkel.»
«Dann
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