Wer stirbt, entscheidest du
Testosteron im Spiel ist, rufen mich meine männlichen Kollegen oft zu Hilfe, weil sie darauf vertrauen können, dass ich als Frau beschwichtigend wirke.
Männer flirten ein bisschen, oder sie machen sich in die Hose. Am Ende tun sie das, was ich sage.
Frauen dagegen …
Winken Sie mal eine Mom in ihrer Familienkutsche rechts ran, weil sie zu schnell gefahren ist – sie wird Ihnen sofort mit hysterischer Stimme erklären, warum ihre zwei-Komma-zwei Kinder nicht zu spät zum Ballett- oder Flötenunterricht kommen dürfen. Haben Sie einen Typen per Haftbefehl hoppgenommen, dem Sie noch einmal Gelegenheit geben, ein paar Sachen zusammenzupacken, kommt Ihnen garantiert seine misshandelte Freundin in die Quere und will wissen, warum Sie ihn seine Unterhosen allein packen lassen; Sie können Gift darauf nehmen, dass sie Ihnen die Schuld an ihrem ganzen Elend gibt.
Männer sind für einen weiblichen Trooper kein Problem.
In Acht nehmen muss man sich vor Frauen.
Mein Anwalt hatte an meinem Bett gesessen und zwanzig Minuten auf mich eingeredet, als Sergeant Detective D.D. Warren plötzlich den Paravent zur Seite zerrte. Gleich hinter ihr stand ihr Verbindungsmann zur State Police, Detective Bobby Dodge. Seiner Miene war nichts anzumerken. Sie hingegen hatte den hungrigen Blick einer Dschungelkatze.
Mein Anwalt verstummte. Er schien nicht überrascht zu sein, die beiden zu sehen, reagierte aber merklich verärgert. Er hatte mir gerade zu erklären versucht, in welcher Lage ich mich befand. Die war alles andere als rosig, und die Tatsache, dass ich noch kein Geständnis abgelegt hatte, machte seiner Meinung nach alles noch schlimmer.
Ob es zu einer Mordanklage kommen würde, war noch fraglich. Die Entscheidung darüber traf die Staatsanwaltschaft von Suffolk County in Zusammenarbeit mit der Bostoner Polizei. Falls ich glaubhaft würde darlegen können, Opfer von Misshandlungen gewesen zu sein – was ja meine wiederholten Behandlungen in der Notaufnahme hinlänglich beweisen sollten –, könnte es sein, dass meine Tat als Notwehr gewertet werden würde.
Brian war mit einer zerschlagenen Flasche auf mich losgegangen, und ich hatte mich mit meiner Dienstwaffe gewehrt. Der Staatsanwalt würde mir vorhalten können, dass zu meiner Selbstverteidigung Pfefferspray, Schlagstock oder Taser völlig ausgereicht hätten, die mir mit meinem Einsatzkoppel zur Verfügung standen. Womöglich würde deshalb die Anklage auf schwere Körperverletzung mit Todesfolge lauten.
Oder aber man würde mir nicht abnehmen, dass ich Angst um mein Leben hatte. Vielleicht unterstellte man mir, im Streit mit meinem Mann die Nerven verloren zu haben. In dem Fall würde man mir Totschlag vorwerfen.
All das wären eher glimpfliche Ausgänge. Aber es gab natürlich Schlimmeres zu befürchten. Vielleicht sah die Polizei nicht in Brian, sondern in mir den eigentlichen Gewalttäter, der mit Vorsatz gehandelt hatte. In dem Fall würde man mir Mord zur Last legen.
Das hieße, ich würde den Rest meines Lebens hinter Gittern verbringen. Vorhang zu.
Mit diesen Überlegungen hatte sich mein Anwalt zu mir ans Bett gesetzt. Er wollte nicht, dass ich mich mit der Polizei anlegte, und empfahl mir stattdessen, eine Presseerklärung abzugeben: Misshandelte Ehefrau plädiert auf unschuldig und hofft verzweifelt auf die Rückkehr der vermissten Tochter. Außerdem riet er mir, dass ich mich den ermittelnden Detectives gegenüber kooperativ und entgegenkommend zeigte. Es sei, so erklärte er, symptomatisch für eine misshandelte Frau, dass sie die Schuld auf sich nehme.
Die Quintessenz einer Ehe reduzierte sich letztlich auf die Frage, was hat er beziehungsweise sie gesagt – selbst wenn einer der Partner längst gestorben ist.
Jetzt waren die ermittelnden Detectives tatsächlich zur Stelle, und mein Anwalt stand schwerfällig auf, um ihnen Platz zu machen.
«Wie Sie sehen», sagte er, «ist meine Mandantin noch sehr geschwächt. Der behandelnde Arzt hat ihr Ruhe verordnet und entschieden, dass sie zur Beobachtung über Nacht hier im Krankenhaus bleibt.»
«Sophie?», fragte ich mit gequälter Stimme. Detective Warren machte nicht den Eindruck, dass sie einer Mutter schlechte Nachrichten zu überbringen hatte. Trotzdem …
«Es gibt noch keine Spur», antwortete sie kurz.
«Wie spät ist es?»
«Halb acht.»
«Schon dunkel», murmelte ich.
Die blonde Polizistin starrte mich an. Mitleidlos, ohne Sympathie. Es überraschte mich nicht. Da es unter
Weitere Kostenlose Bücher