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Wer stirbt, entscheidest du

Wer stirbt, entscheidest du

Titel: Wer stirbt, entscheidest du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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jungen Schnösel geschossen?», äffte ich sie nach. «Ich war sechzehn Jahre alt. Ich war der junge Schnösel! Was glauben Sie, warum die Akte unter Verschluss ist? Der Fall kam nicht zur Anklage. Thomas hatte mich angefallen. Ich wollte mich nur schützen.»
    «Mit einer Zweiundzwanziger», fuhr D.D. fort, als hätte ich nichts gesagt. «Die Sie ganz zufällig bei sich trugen. Und dass er Sie angefallen hat, konnte dummerweise nicht nachgewiesen werden.»
    «Sie haben mit meinem Vater gesprochen», sagte ich in bitterem Ton. Ich konnte mir nicht helfen.
    D.D. neigte den Kopf ein wenig zur Seite und beäugte mich kühl. «Er hat Ihnen kein Wort geglaubt.»
    Ich sagte dazu nichts. Was als Antwort ausgelegt werden mochte.
    «Was ist damals passiert, Tessa? Helfen Sie uns zu verstehen, denn es sieht nicht gut für Sie aus.»
    Ich hielt den Knopf noch fester umklammert. Zehn Jahre waren eine lange Zeit, aber trotzdem nicht lang genug.
    «Ich habe die Nacht im Haus meiner besten Freundin verbracht», sagte ich schließlich. «Juliana Howe. Thomas war ihr älterer Bruder. Er hatte vorher schon mehrere Male Andeutungen gemacht. Wenn wir allein waren, rückte er mir auf die Pelle. Ich war erst sechzehn. Jungs, vor allem ältere Jungs, machten mir Angst.»
    «Warum sind Sie dann über Nacht geblieben?», fragte D.D.
    «Juliana war meine beste Freundin», antwortete ich ruhig und erinnerte mich in diesem Moment wieder ganz genau. An den Schrecken, ihre Tränen, meinen Verlust.
    «Sie hatten eine Waffe dabei», legte sie nach.
    «Die hat mir mein Vater gegeben», erklärte ich. «Ich jobbte damals in einem Lebensmittelladen, musste oft bis elf arbeiten und dann im Dunkeln nach Hause fahren. Er wollte, dass ich mich im Notfall schützen kann.»
    «Mit einer Pistole?» D.D. schien mir nicht zu glauben.
    Ich lächelte. «Sie kennen meinen Vater nicht. Selbst hätte er keinen Finger für mich krummgemacht, geschweige denn mich von der Arbeit abgeholt. Stattdessen gab er mir eine Zweiundzwanziger, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie man damit umgeht. Aber er war seine Verantwortung los.»
    «Schildern Sie, was in der Nacht geschah», forderte mich Bobby auf.
    «Ich bin zu Juliana nach Hause. Ihr Bruder war nicht da. Ein Glück, dachte ich. Wir haben Popcorn gemacht und uns Molly-Ringwald-Filme angesehen, zuerst Das darf man nur als Erwachsener , dann Der Frühstücksclub . Ich bin auf dem Sofa eingeschlafen. Als ich aufwachte, waren alle Lichter ausgeschaltet. Jemand hatte mich zugedeckt. Ich dachte, Juliana wäre nach oben ins Bett gegangen. Ich wollte zu ihr hoch, als ihr Bruder gerade zur Haustür hereinkam. Er war betrunken. Er sah mich. Er …»
    Beide Detectives und mein Anwalt warteten.
    «Ich versuchte, an ihm vorbeizukommen», erklärte ich. «Er stieß mich aufs Sofa. Er war größer und kräftiger. Ich war sechzehn, er neunzehn. Was hätte ich gegen ihn ausrichten können?»
    Mir versagte die Stimme. Ich schluckte.
    «Könnte ich einen Schluck Wasser bekommen?», fragte ich.
    Mein Anwalt schenkte mir aus einer Karaffe ein Glas Wasser ein. Meine Hand zitterte, als ich es entgegennahm. Ich dachte, dass ich Gefühle zeigte, dürften sie mir eigentlich nicht verübeln. Ich trank das Glas leer und setzte es ab. Mein letztes Verhör in dieser Sache lag schon so lange zurück, dass ich nachdenken musste. Übereinstimmung war alles, ich durfte mir keinen Fehler erlauben.
    Drei Augenpaare waren erwartungsvoll auf mich gerichtet.
    Ich holte tief Luft, spürte den Knopf in der Hand und dachte über das Leben nach, über die Muster, die uns prägen, und die Laufräder, aus denen wir nicht herauskommen.
    Mit Bedacht Opfer bringen.
    «Als Thomas mir dann … als er mir dann an die Wäsche ging, spürte ich meine Handtasche an der Hüfte. Er drückte mich mit der einen Hand auf die Matratze und zog mit der anderen den Reißverschluss seiner Jeans auf. Es gelang mir, nach meiner Handtasche zu greifen und die Pistole rauszuholen. Und weil er nicht aufhören wollte, drückte ich ab.»
    «Im Wohnzimmer des Hauses Ihrer besten Freundin?», fragte D.D.
    «Ja.»
    «Muss ja furchtbar ausgesehen haben danach.»
    «Eine Zweiundzwanziger ist nicht so groß», sagte ich.
    «Und Ihre Freundin? Wie hat sie reagiert?»
    Ich starrte weiter unter die Decke. «Er war ihr Bruder, den sie natürlich geliebt hat.»
    «Nun … der Staatsanwalt hat Sie laufen lassen. Die Akte wurde geschlossen. Aber Ihr Vater und Ihre beste Freundin – die haben Ihnen nie

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