Wer stirbt, entscheidest du
an. Seit dem Notruf waren sechsunddreißig Stunden verstrichen. Aber das zählte wahrscheinlich nicht. Alles sprach dafür, dass Tessa Leoni nicht nur ihren Mann, sondern auch die Tochter getötet hatte.
D.D. recherchierte nicht in einem Vermisstenfall; sie leitete eine Sonderkommission mit dem Auftrag, eine Kinderleiche zu bergen.
Doch daran wollte sie vorerst nicht denken. Sie war noch nicht bereit, auf Alex’ nett gemeinte Frage zu antworten. Sie wusste auch nicht, wie sie von diesem Thema auf das andere zu sprechen kommen sollte. Oh, übrigens, was ich noch sagen wollte: Ich bin schwanger. Tut mir leid, dass du es erst jetzt erfährt. Bobby Dodge weiß schon Bescheid. Er wurde von einer Tatverdächtigen darauf hingewiesen.
Es waren genau solche Situationen, die aus D.D. einen Workaholic machen. Erst wenn sie Sophie gefunden und Tessa überführt hätte, würde sie sich besser fühlen. Wenn sie jetzt mit Alex über die neue Weltordnung spräche, würde sie nur in ein noch tieferes Loch fallen.
«Eine Portion Falafel würde dir guttun», sagt Bobby. «Annabelle konnte gar nicht genug davon bekommen, als sie schwanger war. Kannst du in deinem Zustand auch keinen Fleischgeruch ertragen?»
D.D. nickte. «Den von Eiern ebenso wenig.»
«Deshalb empfehle ich mediterrane Küche mit viel Gemüse.»
«Magst du Falafel?», fragte D.D. ungläubig.
«Nein, ich stehe mehr auf Big Macs, aber das wäre für dich jetzt nicht das Richtige.»
D.D. schüttelte den Kopf.
«Falafel aber schon.»
Bobby kannte einen Imbiss, den Annabelle offenbar häufig angesteuert hatte. Während er bestellte, blieb D.D. im Wagen sitzen, weil sie sich nicht die Küchengerüche zumuten und ihre Anrufe auf der Mailbox beantworten wollte. Als Erstes meldete sie sich bei Phil und bat ihn, Brian Darbys Finanzen noch einmal durchzugehen mit dem Blick auf andere Konten und fragwürdige Transaktionen, womöglich unter Pseudonym. Wenn Darby auf Glücksspiele versessen gewesen war, müsste auf seinen Kontoauszügen zu sehen sein, ob er von dem Bankautomaten im Kasino von Foxwoods oder in anderen Kasinos Geld abgehoben hatte.
Danach rief sie Neil an, der im Krankenhaus war und Tessas Krankenakte studierte. D.D. wollte wissen, ob sie dort womöglich auch eine von Brian Darby führten. Vielleicht hatte er sich im Laufe der vergangenen zwölf Monate behandeln lassen müssen, eine Skiverletzung zum Beispiel oder die Folgen eines Treppensturzes. Neil sprang sofort darauf an und versprach, sich an die Arbeit zu machen.
Auf der Hotline meldeten sich immer weniger Anrufer, die Sophie gesehen haben wollten. Dafür gab es etliche Hinweise auf den weißen Denali. Die Stadt war offenbar voll von solchen Fahrzeugen. Die Sonderkommission brauchte also zusätzliches Personal, um all den Hinweisen nachzugehen. Die sollten unverzüglich an das dreiköpfige Team weitergeleitet werden, das Informationen über die letzten Fahrten des SUV zusammentrug. Den dreien trug sie auf, wenn nötig, rund um die Uhr zu arbeiten und gegebenenfalls Unterstützung anzufordern.
Die letzten Fahrten von Brian Darbys SUV zu ermitteln hatte absolute Priorität, denn sie waren die einzigen Spuren, die zu Sophie führten.
Deprimiert von diesem Gedanken, schaute D.D. zum Fenster hinaus.
Eine kühle Nacht. Die Fußgänger auf den Gehwegen hatten die Kragen hochgeschlagen und die Hände tief in die Manteltaschen gesteckt. Noch schneite es nicht, aber damit war zu rechnen. Eine kalte, raue Nacht, die zu D.D.’s Stimmung passte.
Sie hatte kein gutes Gefühl, was Tessa Leonis Inhaftierung betraf. Die Frau ging ihr nicht aus dem Kopf. Sie war zu jung und zu beherrscht. Zu hübsch und zu verwundbar. D.D. fand jede dieser Kombinationen anstößig.
Tessa hatte sie belogen, was ihren Mann und ihre Tochter anging, und wenn Hamiltons Verdacht zutraf, waren vom Konto der Polizeigewerkschaft zweihundertfünfzigtausend Dollar verschwunden. Hatte Tessa das Geld gestohlen? War es das Startkapital für ein «neues Leben»? War sie jetzt nicht nur jung, hübsch, sondern auch reich und unabhängig?
Oder steckte ihr Mann dahinter? Hatte er Spielschulden angehäuft, die sich mit dem Lohn aus ehrlicher Arbeit nicht mehr begleichen ließen? Vielleicht war es seine Idee gewesen, Gelder der State Police zu veruntreuen und seine Frau unter Druck zu setzen nach dem Motto: Du musst zu mir halten, ich bin schließlich dein Mann. Doch als das Geld gestohlen war, hatte sie vielleicht die Tragweite ihrer Tat
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