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Wer stirbt, entscheidest du

Wer stirbt, entscheidest du

Titel: Wer stirbt, entscheidest du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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Umschluss bis zum Abendessen um fünf. Um elf in der Nacht wurde ein letztes Mal durchgezählt und das Licht ausgemacht. Ruhezeit war aber noch lange nicht. So etwas gibt es nicht in Gefängnissen, schon gar nicht in solchen, die Männer und Frauen beherbergen.
    Wir, die weiblichen Insassen, belegten die oberen Stockwerke im sogenannten Tower von Suffolk County. Irgendeine einfallsreiche Frau (oder vielleicht war es auch ein Mann) hatte herausgefunden, dass die Abflussrohre von den oberen Stockwerken bis ganz nach unten führten. Wenn jemand – zum Beispiel meine Zellengenossin Erica – den Kopf in die Kloschlüssel steckte, konnte sie mit irgendeinem Mann im Parterre «Konversation» betreiben. Aber Konversation ist nicht das, worauf ein Mann scharf ist. Bei uns lief ungefähr das ab, was man als sexten bezeichnet, wenn es per SMS läuft.
    Erica hatte harte Sprüche auf Lager, und neun Etagen unter uns fing irgendein Anonymus zu stöhnen an, was Erica zur Höchstform auflaufen ließ. Fester, schneller, nimm mich ran, Alter. Ich begrabsche meine Titten für dich. Fühlst du, wie ich meine Titten für dich begrabsche? (Erica hatte keine Titten mehr. Die waren von den Methamphetaminen, die sämtliche Fettpolster zersetzen, weggefressen worden: faule Zähne, schwarze Fingernägel und keine Brüste. Erica hätte sich gut als abschreckendes Beispiel für eine Anti-Dope-Kampagne gemacht.)
    Aber davon wusste der Alte unter uns natürlich nichts. Er stellte sich Erica wahrscheinlich als vollbusige Blondine vor oder vielleicht so wie die scharfe Chica aus der medizinischen Abteilung. Jedenfalls holte er sich munter einen runter, und als er fertig war, widmete sich Erica einem anderen Leidensgenossen.
    Nicht anders die Frauen in der nächsten und übernächsten Zelle, und das Nacht für Nacht bis in die frühen Morgenstunden.
    Gefängnisse sind Orte der Geselligkeit.
    Der Knast von Suffolk County besteht aus mehreren Gebäuden. Leider konnten nur die Männer in den unteren Etagen des Towers per Abflussrohr mit den Frauen der drei obersten Stockwerke kommunizieren, was den Männern in den anderen Gebäuden natürlich nicht gefiel.
    Aber auch im Haus 3 gab es einfallsreiche Typen, die spitzgekriegt hatten, dass wir von unseren Zellen aus in ihre vergitterten Fenster blicken konnten. Erica erklärte mir gleich zu Anfang, dass wir morgens nach dem Aufstehen als Erstes nachschauen mussten, ob in den Fenstern von Haus 3 Nachrichten für uns ausgehängt waren – in Form von Buchstaben oder Ziffern, kunstvoll zusammengesetzt aus Socken, Unterwäsche und T-Shirts. Weil sich mit Socken und dergleichen nicht viel Text schreiben ließ, hatte man einen Geheimcode entwickelt, der uns Frauen von 1-9-1 verschlüsselt mitteilte, in welchen Büchern der Bibliothek Zettel mit ausführlicheren Inhalten zu finden waren ( Fick mich, fick mich, lass mich ran, oh, du bist so geil, wenn ich dich nur sehe, kriege ich einen Ständer ).
    Knastpoesie, meinte Erica seufzend. Rechtschreibung sei nicht ihr Ding, gestand sie mir. Trotzdem gab sie sich Mühe mit ihren Antworten, die sie in denselben Romanen versteckte ( ja, ja, JA ).
    Mit anderen Worten: Wir, die weiblichen Untersuchungshäftlinge, konnten uns mit den männlichen Knackis sehr wohl austauschen. Und weil wahrscheinlich inzwischen die gesamte Belegschaft von meiner Anwesenheit wusste, musste ich damit rechnen, dass man mir früher oder später in einer konzertierten Aktion den Garaus zu machen versuchte.
    Ich fragte mich, wie.
    Gelegenheiten böten sich insbesondere immer dann, wenn wir im Pulk zur Bücherei oder in die Sporthalle geführt wurden. Oder zur Besuchszeit, wenn im Besucherraum Hochbetrieb herrschte und jeder mit jedem zusammentreffen konnte.
    Für einen Mithäftling wäre es ein Leichtes, neben mir aufzutauchen, mir ein selbstgebasteltes Messer durch die Rippen zu stoßen und unbemerkt zu verschwinden.
    So was kann passieren, oder? In einem Knast allemal.
    Ich versuchte, in Gedanken alle Möglichkeiten durchzuspielen. Wie würde ich als ein weiblicher Häftling vorgehen, wenn ich eine ausgebildete Polizistin um die Ecke bringen wollte? Wahrscheinlich nicht im offenen Angriff. Zum einen würde sich eine Polizistin zu verteidigen wissen, zum anderen waren immer Schließer zur Stelle, wenn sich unser Flügel auf den Weg in die Bücherei, die Sporthalle oder den Besucherraum machte.
    Nein, ich würde Gift benutzen. Seit Menschengedenken die bewährte Vorzugswaffe einer Frau.
    Gift in

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