Wer stirbt, entscheidest du
wollte mich hinter Gitter bringen, das war mir jetzt klar. Er und die Leute, für die er wohl arbeitete, wollten mich aus dem Weg haben.
Zum ersten Mal seit drei Tagen lächelte ich.
Sie durften sich auf eine kleine Überraschung gefasst machen. Denn nach der blutigen Tat, noch betäubt von dem Schuss und die Augen schreckgeweitet, war mir ein Gedanke durch den Kopf gegangen. Ich müsste nur ein wenig Zeit gewinnen, um den Gang der Dinge abbremsen zu können.
Fünfzigtausend Dollar hatte ich dem Mörder meines Mannes geboten, fünfzigtausend Dollar, wenn er vierundzwanzig Stunden für mich herausschinden würde, Zeit, die ich brauchte, um «meine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen». Fünfzigtausend Dollar dafür, dass ich die Schuld am Tod meines Mannes auf mich nahm und ins Gefängnis ging. So hatte ich dem Mann mein Angebot verkauft.
Wahrscheinlich traute er mir nicht, aber fünfzig Riesen waren nicht schlecht, und als ich ihm vorschlug, Brians Leiche auf Eis zu legen …
Er war schwer beeindruckt gewesen. Nicht schockiert. Beeindruckt. Was für eine Frau, die den Nerv hatte, so etwas zu tun!
Am Ende hatte der anonyme Killer mein Angebot angenommen und mir im Gegenzug vierundzwanzig Stunden gewährt, um meine Sachen zu regeln.
In vierundzwanzig Stunden lässt sich einiges regeln. Insbesondere für jemanden wie mich, der den Nerv hat, den eigenen Mann mit Schnee zuzuschaufeln. Den Mann, der mir Liebe geschworen hatte, sich um meine Tochter kümmerte und uns nie verlassen wollte.
Aber an Brian dachte ich jetzt nicht. Das konnte ich mir an diesem Ort nicht leisten. Ich konzentrierte mich vielmehr auf das, worauf es nun ankam.
Wen liebst du?
Der Killer hatte recht. Auf diese Frage lief am Ende alles hinaus. Wen liebst du?
Sophie. Sie war irgendwo da draußen, von derselben Dunkelheit gefangen. Sechs Jahre alt, ein herzförmiges Gesicht mit großen blauen Augen und einem Lächeln, das die Sonne heller strahlen ließ. Sophie.
Brian war für sie gestorben. Ich musste nun für sie überleben.
Alles tun, um meine Tochter zurückzuholen.
«Ich komme», flüsterte ich. «Sei tapfer, mein Schatz, sei tapfer.»
«Was?», fragte Erica, die oben in ihrem Bett lag und mit Karten spielte.
«Nichts.»
«Das Fenster hält. Da kommst du nicht durch», krächzte sie und hielt offenbar für witzig, was sie sagte.
Ich wandte mich ihr zu. «Erica, im Aufenthaltsraum ist doch ein Telefon. Kann jeder damit telefonieren?»
Sie legte die Karten weg.
«Wen willst du denn anrufen?», fragte sie unverhohlen neugierig.
«Die Ghostbusters», antwortete ich, ohne mit der Wimper zu zucken.
Erica krächzte wieder vor Lachen und verriet mir, was ich wissen wollte.
[zur Inhaltsübersicht]
24. Kapitel
Bobby wollte noch in einem Restaurant zu Abend essen. D.D. stand nicht der Sinn danach.
«Du solltest besser für dich sorgen», meinte Bobby.
«Hör auf, mich zu bemuttern», fuhr sie ihn an. «Das habe ich noch nie leiden können, jetzt schon gar nicht.»
«Von wegen.»
«Wie bitte?»
«Ich sagte, von wegen. Du kannst mir nichts vormachen.»
D.D. drehte sich auf dem Beifahrersitz zur Seite, um ihm die Stirn zu bieten. «Ist dir bewusst, dass schwangere Frauen Probleme mit ihrem Hormonhaushalt haben? Ich könnte dir jetzt den Hals umdrehen und käme damit durch, wenn unter den Geschworenen nur eine einzige Mutter ist. Garantiert.»
Bobby lächelte. «Du klingst wie Annabelle.»
«Verdammt, sieh dich vor …»
«Du bist schwanger», fiel er ihr ins Wort. «Schwangere Frauen zu bemuttern ist für uns Männer ein schöner Job. Gibt uns was zu tun. Und insgeheim haben wir es auch gern, Babys zu bemuttern. Ich wette, wenn dein Baby da ist und du es mit zum Dienst bringst, wird Phil ihm Schühchen stricken, und ich könnte mir vorstellen, von Neil bekommt es Kinderpflaster mit Bugs-Bunny-Motiven drauf und später dann einen Helm fürs Fahrrädchen.»
D.D. starrte ihn an. An Schühchen, Kinderpflaster oder daran, das Kind zum Dienst mitzunehmen, hatte sie noch keinen einzigen Gedanken verschwendet. Ihr war bis vor kurzem ja nicht einmal klar gewesen, ob sie überhaupt ein Kind haben wollte.
Alex hatte ihr eine SMS geschickt: Habe von der Verhaftung gehört. Wie geht’s weiter an der Front?
Eine Antwort blieb sie schuldig. Ihr fiel nichts ein, was sie hätte schreiben können. Nun ja, Tessa Leoni saß in Haft, aber ihre Tochter war nach wie vor verschwunden. Falls Sophie noch lebte, brach nun die zweite Nacht für sie
Weitere Kostenlose Bücher