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Wer stirbt, entscheidest du

Wer stirbt, entscheidest du

Titel: Wer stirbt, entscheidest du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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strampelte mit den Beinen, vergeblich bemüht, Boden zu gewinnen. Unmittelbar hinter ihr stand eine riesige schwarze Frau mit langen dunklen Haaren. Sie hatte einen Arm um Kims Kehle gelegt und drückte ihr die Luft ab. Kim wehrte sich nach Kräften, hatte aber keine Chance.
    Ich trat auf sie zu. Doch plötzlich brüllte Erica: «Schnappt sie euch!», und gleich darauf hatte mich ein halbes Dutzend Frauen in der Mangel.
    Ich spürte einen Schlag im Magen, spannte reflexhaft die Bauchmuskeln an und stieß mit der Faust in etwas Weiches, das «Umpf» sagte. Von einem zweiten Hieb getroffen, duckte ich mich weg und folgte nur noch meinen in der Ausbildung geschärften Instinkten. Wer das Unmögliche nur oft genug wagt, macht es schließlich möglich. Es wird nach Monaten und Jahren ausdauernden Trainings im günstigen Fall sogar zur Routine und kann einem irgendwann einmal tatsächlich das Leben retten.
    Es traf mich an der Schulter. Die Schläge zielten auf mein Gesicht, auf das geschwollene Auge und gebrochene Jochbein. Ich hob beide Fäuste in klassischer Boxermanier und rückte auf die mir nächste Angreiferin zu, der ich blitzschnell ein Bein stellte und einen Stoß versetzte, sodass sie in die wild gewordene Horde stürzte, die von hinten aufgeschlossen war.
    Schreie. Schmerzen und Wut. Alles war in Bewegung. Ich musste mich auf den Beinen halten und die Attacken abwehren, um nicht von der schieren Übermacht zertrampelt zu werden.
    Ein scharfer Gegenstand fuhr über meinen Unterarm, gleichzeitig erwischte eine Faust meine Schulter. Ich sprang zur Seite, rammte meinen Ellbogen in den Bauch einer Frau und drosch mit der Handkante auf ihren Hals ein. Sie ging zu Boden und blieb dort liegen.
    Noch hatte ich es mit vier Gegnerinnen zu tun. Ich hielt sie auf Abstand und versuchte, zahllose Gedanken auf einmal zu verarbeiten. Wo waren die anderen Mithäftlinge? Zurück in ihren Zellen? Hatten sie sich verzogen aus Angst vor Repressalien?
    Und Kim? Schnaufendes Handgemenge hinter mir. Officer in Gefahr, Officer in Gefahr.
    Es musste doch irgendwo einen Alarmknopf geben –
    Wieder erwischte mich eine Klinge am Unterarm. Ich schlug danach, trat aus und traf auf ein Knie.
    Ich schrie laut auf, schrie und schrie wie am Spieß. Seit Tagen aufgestaute Wut, Hilflosigkeit und Frustration machten sich endlich Luft, denn der Schließerin Kim ging es an den Kragen und meine Tochter – wer weiß, ob sie noch lebte; mein Mann war tot, und mit ihm der gute Brian gestorben, vor meinen Augen erschossen von einem Mann in Schwarz, der meine Tochter entführt und nur den blauen Knopf, das Auge ihrer Lieblingspuppe zurückgelassen hatte. Ich musste ihn finden und würde ihn büßen lassen.
    Wahrscheinlich schrie ich immer noch, als ich mich wieder in Bewegung setzte. Ich glaube, es waren wahnsinnige Schreie, die ich von mir gab, denn meine Widersacherinnen wichen vor mir zurück. Jetzt war ich es, die mit gefletschten Zähnen attackierte.
    Ich trat und ließ die Fäuste fliegen. Ich war wieder dreiundzwanzig Jahre alt. Eine unbändige Kampfmaschine. Seht, wozu ich in der Lage bin, wenn mich nichts mehr hält!
    Mir tropfte der Schweiß vom Gesicht, meine Fäuste waren blutverschmiert. Eine weitere Frau ging zu Boden, dann noch eine, die nächste nahm Reißaus, um sich in ihrer Zelle in Sicherheit zu bringen. Die letzte hatte eine selbstgebastelte Stichwaffe in der Hand und glaubte offenbar, sich damit schützen zu können. Sie glaubte wohl, es mit irgendeinem aggressiven Freier oder frustrierten Zuhälter zu tun zu haben. Oder ich war für sie womöglich nur eine kleine weiße Zicke, keine wirkliche Herausforderung für eine hartgesottene Schlampe wie sie.
    Von dort, wo die Aufseherin normalerweise an ihrem Pult saß, waren röchelnde Geräusche zu hören. Eine Frau lag im Sterben.
    «Na los!», knurrte ich. «Zeig mir, was du drauf hast, Schlampe!»
    Sie war so blöd und griff an. Nach links ausweichend, stieß ich ihr eine gerade Rechte vor die Gurgel. Sie ließ die Waffe fallen und packte sich mit beiden Händen an den Hals. Mit der Klinge bewaffnet, stieß ich sie zu Boden und ließ keinen Zweifel mehr daran aufkommen, wer hier das Sagen hatte.
    Kims Beine hatten zu zappeln aufgehört. Sie hing immer noch in der Luft, gehalten von dem schwarzen Arm, der ihr die Kehle zudrückte. Ihre Augen waren glasig.
    Ich ging um die beiden herum.
    Ich musterte die Riesenfrau, die, wie sich zeigte, gar keine Frau war, sondern ein langhaariger Mann,

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