Wer stirbt, entscheidest du
anderer Ehemann sein, wenn ich als Ehefrau anders wäre?
Der böse Brian brach mir das Herz. Der gute Brian schaffte es immer wieder gerade noch rechtzeitig, die Bruchstücke zusammenzuflicken. Und so ging es weiter, hoch und runter auf der Achterbahn unserer Ehe.
Doch irgendwann geht jede Fahrt zu Ende.
Unsere Fahrt endete auf dem blitzblanken Küchenfußboden.
Mir und Sophie kann der böse Brian nicht mehr weh tun.
Dass ich von dem guten Brian ablassen kann, wird noch eine Weile dauern.
Dienstagmorgen, sieben Uhr.
Unser Flügel erwachte; die Schließerin zählte ihre gefangenen Schäfchen. Erica war schon eine Stunde wach. Sie lag in Fötushaltung auf ihrer Matratze, schaukelte leise brabbelnd hin und her, den Blick ins Unendliche gerichtet.
Ich glaube, es war kurz nach Mitternacht, als sie schlafen ging. Weil es in unserer Zelle keine Uhr gibt, musste ich mich auf mein Zeitgefühl verlassen. Das gab mir nachts etwas zu tun: Ich glaube es ist … zwei, drei, vier Uhr einundzwanzig …
In dieser Nacht bin ich allerdings sofort eingeschlafen. Ich träumte von Sophie. Wir trieben in einem weiten, aufgewühlten Ozean und paddelten um unser Leben von einer Welle zur anderen.
«Bleib bei mir», brüllte ich. «Bleib bei mir, und es wird dir nichts geschehen.»
Aber sie ging unter und verschwand im dunklen Wasser. Ich tauchte und tauchte, aber ich konnte sie nicht mehr finden.
Als ich erwachte, schmeckte ich Salz auf meinen Lippen. An Schlaf war nicht mehr zu denken.
Auch nachts rissen die Geräusche im Tower nicht ab. Irgendwelche Frauen machten irgendwelche Männer an, die dann zu stöhnen anfingen. Rohre klackerten, Gebläse summten. Mir war, als steckte ich im Inneren eines riesigen Tieres, das mich mit Haut und Haaren verschluckt hatte. Immer wieder fuhr ich mit der Hand über die Wand, vielleicht in der Hoffnung, mich zu erden. Das einzig Gute an der Nacht war der Umstand, dass die Dunkelheit mir ein bisschen Intimsphäre schenkte und ich halbwegs unbeobachtet pinkeln konnte.
Die Schließerin hatte unsere Zelle erreicht. Sie sah Erica schaukeln, ließ, als sie den Blick auf mich richtete, vage durchblicken, dass sie mich erkannte, und verschwand wieder.
Kim Watters. Sie hatte ein Verhältnis gehabt mit einem meiner Kollegen aus der Kaserne, war auch manchmal aufgetaucht, wenn wir zusammen essen waren. Natürlich. Die Schließerin vom Suffolk-County-Gefängnis. Ich erinnerte mich an sie.
Sie ging zur nächsten Zelle. Erica schaukelte heftiger. Ich schaute durch das vergitterte Fenster und versuchte mir einzureden, dass sich meine Lage dadurch, dass ich eine der Schließerinnen persönlich kannte, nicht verschlechterte.
Halb acht. Frühstück.
Erica war aufgestanden. Sie brummelte aufgeregt vor sich hin, ohne mich anzusehen. Ihr Gehirn war vom Meth zerfressen. Sie hätte auf Entzug gehört, nicht ins Gefängnis. Aber das traf wohl auf die meisten hier zu.
Wir bekamen schlaffe Pfannkuchen, Apfelkompott und Milch. Erica strich den Kompott auf ihren Fladen, rollte ihn auf und verschlang ihn mit drei Bissen. Ein Schluck, und der Milchbecher war leer. Dann beäugte sie mein Tablett.
Ich hatte keinen Appetit. Der Pfannkuchen schmeckte wie ein feuchtes Papiertaschentuch. Trotzdem aß ich ihn vor ihren Augen.
Erica saß auf dem Klo. Ich wandte mich diskret ab.
Sie lachte.
Später putzte ich mir die Zähne und sprühte Deodorant unter die Achseln. Danach … Danach hatte ich nichts mehr zu tun. Mein erster voller Tag im Knast.
Umschluss. Unsere Tür wurde geöffnet. Draußen schlenderten Frauen vorbei. Manche blieben in der Zelle. Ich musste raus. Nicht dass es mir zu eng darin wurde – die drei Meter hohe Decke und der Fensterausschnitt ließen immerhin so etwas wie Raumgefühl zu. Schlimmer war die ständige Neonlichtbestrahlung. Ich sehnte mich nach Sonnenlicht.
Im Aufenthaltsraum ging ich auf die Sitzecke zu, wo sechs Frauen vor dem Fernseher hockten. Es lief Good Morning America . Die Show war mir zu fröhlich. Ich versuchte mein Glück an einem der vier runden Metalltische, wo zwei Frauen Karten spielten. Eine dritte riss Witze, über die nur sie selbst lachen konnte.
Nebenan wurde eine Dusche aufgedreht. Ich schaute nicht hin. Ich wollte nichts davon sehen.
Plötzlich hörte ich ein seltsames Geräusch. Es klang, als wollte jemand nach Luft schnappen und gleichzeitig ausatmen.
Ich drehte mich um. Kim Watters, die Schließerin, führte einen seltsamen Tanz auf. Sie hing in der Luft und
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