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Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn

Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn

Titel: Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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über seine neue Seekarte und nahm Kurs auf die Insel Vahua Oa.
    Es war die Insel, für deren Bewohner Viktoria-Eiland der große Totenplatz war.

VIII
    Am Abend funkte Werner Bäcker seine Position nach Viktoria-Eiland. Im Haus war ein kleiner Morsesender zurückgeblieben, und Paul und Anne saßen seit einer Stunde davor, warteten ungeduldig und fielen sich jubelnd um den Hals, als es plötzlich zu ticken begann.
    »Hier Anne I … hier Anne I …« Das war der Name von Bäckers Jacht. »Habe Anker vor Vahua Oa geworfen. Alles ruhig. Kein Mensch zu sehen. Gehe morgen früh an Land. Macht euch keine Sorgen. Alle Kriegskanus liegen still in der Lagune. Ende.«
    Dann war Stille. Und es blieb still. Niemand hörte oder sah mehr etwas von Werner Bäcker.
    Während des ganzen nächsten Tages versuchte Paul, mit dem Morsegerät seinen Vater zu erreichen. Aber Werner Bäcker gab keine Antwort. Auch am Abend blieb es still, und Anne begann langsam, aber mit erschreckender Deutlichkeit zu erstarren.
    »Es ist etwas geschehen«, sagte sie tonlos, als Paul gegen Mitternacht seine Morserufe einstellte. »Ich fühle es, Paul. Es ist etwas Schreckliches geschehen …«
    »Ausgeschlossen, Mutter!« Paul lief aufgeregt hin und her. »Man hat mir das Versprechen gegeben, daß uns nichts mehr geschieht.«
    »Wer kann ein solches Versprechen geben?«
    »Ich darf es nicht sagen.«
    »Es geht um deinen Vater!« schrie Anne plötzlich. Sie war aufgesprungen, hatte die Hand gehoben, und zum erstenmal in seinem Leben wurde Paul von seiner Mutter ins Gesicht geschlagen. Er war darüber so erstarrt, daß er sich nicht rührte, auch als sie zum zweitenmal zuschlug.
    »Dein Vater! Was ist dir mehr wert: dein Vater oder dein Versprechen? Also rede: Wem hast du dein Wort gegeben?«
    »Dem Dritten Kopf der Großen Sechs …«, sagte Paul gepreßt.
    Anne sah ihn verständnislos an. »Wer ist denn das?«
    »Ein Geheimbund gegen die Weißen.«
    »Bist du verrückt geworden, Paul?« stammelte Anne.
    »Sie haben mir geholfen. Sie haben mir ein Boot gegeben, als ich nach Viktoria-Eiland zurückkommen wollte. Sie haben mich auf Tahuata beschützt. Ich habe zweimal mit dem Dritten Kopf gesprochen. Ich glaube ihm …«
    »Und warum antwortet Vater nicht?«
    Anne starrte auf das kleine Morsegerät. Zum erstenmal seit zwanzig Jahren war sie ohne Werner, empfand sie diese ungeheuerliche Leere, die sein Wegsein erzeugte. Zum erstenmal aber auch hatte sie das Gefühl, daß diese Leere bleiben würde. Das war so furchtbar, daß alles in ihr zu glühen begann.
    Wenn Werner nicht mehr zurückkam – das war ein Gedanke, den sie nicht zu Ende denken konnte. Ein Leben ohne ihn war unmöglich. Sie starrte ihren Sohn an. Er blieb ihr, aber jetzt, in dieser plötzlichen Angst und in dem furchtbaren Gefühl, alles verloren zu haben, wußte sie, daß ein Kind für eine Mutter die ganze Welt bedeutet, daß aber ein Mann über dieser Welt wie die Sonne war, die ihr Kraft und Leben gab.
    »Ich versuche es noch einmal«, sagte Paul heiser. »Die ganze Nacht, Mutter. Vielleicht ist er immer noch an Land und verhandelt … oder er ist weitergefahren zur nächsten Insel.«
    »Das hätte er uns mitgeteilt«, sagte Anne tonlos. »Dieser wahnsinnige Plan, dieser total wahnsinnige Plan, eine Frau zu suchen …«
    Sie hockten bis zum Morgengrauen vor dem Morsegerät und funkten in Abständen von fünfzehn Minuten ihren verzweifelten Ruf: »Anne I melden … Anne I melden …« Aber Bäcker gab keine Antwort mehr.
    Als die Sonne am nächsten Morgen glutrot aus dem Meer stieg, einer jener flammenden Morgen, da die Südsee aussieht wie am Tag der Schöpfung, fiel Anne ohnmächtig vom Hocker. Paul trug sie in ihr Bett, deckte sie zu, rannte dann zurück zum Morsegerät und begann wieder mit seinem Ruf.
    Auch er war verzweifelt, aber er suchte nach einer Erklärung für das Schweigen seines Vaters. Die Furcht seiner Mutter, er sei auf Vahua Oa getötet worden, teilte er nicht. Er dachte an den Dritten Kopf der Großen Sechs und an die Macht dieses Geheimbundes. Und er dachte daran, daß sein Vater als Freund zu den Inseln gekommen war, mit einer weißen Flagge am Mast und mit Säcken voll Geschenken. Warum sollten sie ihn getötet haben? Gibt es etwas Erhabeneres unter den Menschen als Freundschaft?
    Er saß bis zum Mittag vor dem Morsegerät. Als Anne plötzlich hinter ihm stand und ihm beide Hände auf die Schultern legte, zuckte er zusammen. Ihr Gesicht glich einer verwitterten

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