Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn
wartete er, bis die Sonne aufging, entsicherte das Maschinengewehr und feuerte eine Garbe mitten zwischen die Kriegskanus.
Die Wirkung war enorm.
Aus den Hütten stürzten die Krieger, aber eine neue Salve hielt sie zurück und legte eine tödliche Sperre zwischen sie und die Boote. Wie braune Wiesel verschwanden die Eingeborenen wieder in den Hütten, der Palaverplatz vor dem großen Häuptlingshaus blieb leer, aber Paul wußte, daß hinter den Flechtwänden der Hütten die Männer lauerten, Giftpfeile auf gespannten Bogensehnen, Speere in den geballten Fäusten.
Es war eine aussichtslose Situation für Vahua Oa. Für die Pfeile lag Pauls Boot zu weit in der Lagune, und den Weg zu den Kanus konnte Paul durch eine Salve aus seinem Maschinengewehr versperren. Auch ein Massenangriff war sinnlos – der Tod aus dem Maschinengewehr war immer schneller als viele Menschen. Die Papuas wußten es und blieben unsichtbar.
Paul wartete. Er saß hinter dem MG, den Finger am Abzug, die Gurte griffbereit neben sich. Von der Stelle, wo sein Boot schaukelte, überblickte er das ganze Dorf. Da es auf dem schmalen Landstreifen zwischen Meer und Lagune gebaut war, auf einem von Buschwerk und Palmen gerodeten freien Platz, gab es für die Leute von Vahua Oa keine Möglichkeit auszubrechen. Wo auch immer ein Mensch sich zeigen würde, Pauls MG hätte ihn sofort erreicht.
Sie werden kommen, dachte er grimmig. Sie werden versuchen zu verhandeln. Und sie werden lügen. Es wird ein kurzes Palaver werden, ein paar Worte nur, dann werde ich ihnen meinen Geheimbunddolch zeigen, und sie werden wissen, daß die Strafe der Großen Sechs fürchterlicher sein wird als alle Salven, die ich über ihr Dorf abfeuern könnte.
Aus der Häuptlingshütte trat plötzlich eine federgeschmückte Gestalt. Sie hob beide Hände zur Sonne, verneigte sich und ging dann langsam durch das stille Dorf hinunter zu den Kriegskanus. Dort blieb sie stehen und zeigte beide Handflächen. Das Zeichen der Wehrlosigkeit, der Unterwerfung.
Paul verhielt sich still. Er hatte den Finger am Abzug und wartete.
Der Häuptling stieg in eines der Kanus, löste den Palmstrick vom Pflock und nahm das Paddel in die Hand. Als er es ins Wasser tauchte, jagte Paul einen kurzen Feuerstoß in die Lagune. Das Wasser spritzte auf – eine Linie, die Halt bedeutete. Der einsame Mann im Kanu hörte sofort auf zu paddeln und straffte sich. Wieder zeigte er Paul seine leeren Handflächen.
»Komm her!« schrie Paul in dem Eingeborenendialekt, der hier gesprochen wurde. »Sage deinen Leuten, daß ich auf jeden schieße, der sich blicken läßt. Ich habe genug Kugeln, um ganz Vahua Oa zu töten!«
Der Häuptling wandte sich zurück. Er stieß ein paar schrille, unterschiedlich hohe Schreie aus, die mehr nach einem Vogel als nach einem Menschen klangen. Sie zitterten über das stille Dorf, und es war, als sterbe es noch mehr. Die Stille war vollkommen, selbst der Wind ließ nach, als hätten ihn die Schreie verjagt.
Paul ließ den federgeschmückten, alten Mann an sich herankommen. Dann hob er die Hand und schwenkte den Lauf des MGs genau auf dessen Körper. Der Häuptling legte das Paddel ins Boot und richtete sich auf. Langsam trieb das Kanu auf dem unbewegten Wasser, bis es stillstand, zehn Schritte von Paul Bäcker entfernt.
»Kennst du das?« fragte Paul. Er war hinter dem MG sitzen geblieben. An seiner linken Seite lag die Reißleine für den Motor. Während er sprach, hob er den Malaiendolch über den Lauf des MGs. Der alte, mit weißen und roten Streifen im Gesicht bemalte Mann nickte. Sein Kopfputz wippte in der noch bleichen Morgensonne.
»Wir wußten es nicht«, sagte er mit gutturaler Stimme.
»Du lügst!« schrie Paul. »Auf allen Inseln wissen sie es! Wo ist mein Vater?«
Der alte Mann nahm seinen prächtigen Federschmuck ab, warf ihn ins Meer und beugte den Nacken. »Laß meinen Stamm leben«, sagte er dabei. »Mann gegen Mann – das ist gerecht.«
Paul hielt den Atem an. Ein wahnsinniger Schmerz durchjagte ihn. Vater, dachte er. O Vater. Sie haben dich kaltblütig umgebracht. Du bist hier gelandet, um für mich ein Mädchen zu suchen, und sie haben dich empfangen wie einen Freund und dann getötet wie ein Opfertier. Was heißt hier Mann gegen Mann? Ein Häuptling opfert sich für ein Verbrechen … aber kann man Tod gegen Tod aufrechnen? Sie haben mehr getötet als nur meinen Vater … sie haben in mir den Glauben an das Gute, an die Freundschaft, an die Brüderlichkeit
Weitere Kostenlose Bücher