Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn
Abend. Paul schlief schon. Bäcker und Anne saßen vor dem Haus und sahen über das stille Meer, in dem sich der Mond spiegelte.
Nach einer Weile sagte Bäcker: »Anne, wir hatten uns vorgenommen, Paul nicht zu fragen, warum er zurückgekommen ist. Er hat uns das gedankt, indem er uns nie vorgehalten hat, daß wir ihm per Funk einen Berg voll Lügen erzählt haben. Er wollte zurückkommen in seine Heimat und fand einen Trümmerhaufen vor. Er hat das geschluckt, und dafür haben wir nicht an das gerührt, was er erlebt hat. Jetzt aber glaube ich, daß wir etwas tun müssen. Paul ist in Tahuata ein Mann geworden.«
»Das sollte er doch«, sagte Anne.
»Ich meine es anders, Anne.« Bäcker legte den Arm um ihren Nacken. »Unser Sohn weiß jetzt, was eine Frau ist …«
»Du meinst …« Sie sah ihn aus ihren großen braunen Augen betroffen an. »Unser Junge …«
»Der Junge ist fast 1,90 m groß, 19 Jahre alt, gesund und platzt vor Kraft.« Bäcker lachte leise. »Er bleibt nicht immer ein Kind.«
»Und du glaubst …«
»Ich weiß es, Anne. Ich habe Paul beobachtet. Er hat eine Frau gehabt und sehnt sich jetzt nach einer Frau. Er sitzt am Strand, baut heimlich Frauenkörper aus Sand, streichelt sie und läßt sie dann von der Flut zerstören.«
»Mein armer Liebling …«, sagte Anne leise. »Hier gibt es nur seinen Vater und seine Mutter und die Toten … Was willst du tun, Werner? Ihn wieder wegschicken? Nur, damit er in einem anderen Bett liegen kann? Das darfst du nicht. Dieses Mal lasse ich ihn nicht allein – ich gehe mit.«
»Dich wird er kaum dabei gebrauchen können, Anne.«
»Mein Gott, sind das Probleme? Besteht die Welt nur daraus?«
»Ja, Anne«, sagte Bäcker ernst. »Da gab es vor langen Jahren auf einer unbewohnten Insel eine Frau und einen Mann. Und sie liebten sich so sehr, daß sie sich in Gegenwart eines Mannes namens Paul Shirley in ein Palmbett legten. Und nichts auf der Welt, weder Sonne, Meer, Wind, Regen und die Aussicht, elend zu verrecken, war stärker als ihre Liebe.«
»Wann schickst du Paul wieder weg?« fragte Anne leise.
»Ich habe es mir überlegt. Es ist einfacher, ihm eine Frau hierherzubringen.«
»Das ist doch unmöglich.«
»Wieso?«
Sie schüttelte den Kopf, stand auf und ging im blassen Mondschein hin und her.
»Wer geht freiwillig auf eine Toteninsel?« fragte sie.
»Du – –«
»Weil ich dich liebe, weil du hier bist …«
»Vielleicht gibt es auch eine Frau, die Paul so liebt, wie du mich? Könnte das nicht möglich sein?«
»Willst du sie per Anzeige suchen? Oder willst du als Brautwerber herumfahren und deinen Sohn anbieten?«
»So ähnlich, Anne. Die Südseemädchen sind schön und sanft.« Bäcker trat an den Rand der Böschung. Vor ihm lag die Weite des Ozeans mit dem Silberglanz des Mondes. Das Meer, verflucht und geliebt, das ihn einmal töten wollte und ohne das er jetzt nicht mehr leben konnte. »Ich werde mich auf den benachbarten Inseln umsehen und für Paul ein Mädchen suchen.«
»Das ist das Verrückteste, was dir je eingefallen ist«, sagte Anne. »Auf eine Toteninsel gehören nur Tote. Die Papuas werden dich wegjagen.«
»Oder ich werde sie überzeugen. Für meinen Sohn tue ich alles. Soll er sich weiter Frauen aus Sand modellieren?«
Anne schwieg. Sie blickten sich stumm an, und zum erstenmal seit zwanzig Jahren sah und spürte Bäcker, daß Anne sich nicht nur weigerte, ihm zu folgen, sondern zu seinem Gegner geworden war. Diese Erkenntnis war so atemberaubend, daß Bäcker sich mit bebenden Händen über das zerklüftete Gesicht wischte.
»Anne –«, sagte er gedehnt. »Anne, um Gottes willen … es gibt doch nur die Alternative: entweder wir bringen Paul wieder weg – oder wir holen ihm eine Frau auf die Insel. Das letztere ist die größere Chance, ihn nicht zu verlieren. Paul ist kein Kind mehr. Er hat schon mit einer Frau geschlafen, ich spüre es an hundert Kleinigkeiten. Und ich werde ihn morgen danach fragen, von Mann zu Mann.«
»Er wird es abstreiten!« Eine verzweifelte Hoffnung schwang in Annes Worten, die Hoffnung aller Mütter, den Sohn nicht an eine fremde Frau verlieren zu müssen.
»Das glaube ich nicht«, sagte Bäcker sicher. Sie muß es begreifen, dachte er. Anne ist wie alle Mütter in den eigenen Sohn verliebt. »Ich glaube, Anne, er wird mir dankbar sein.«
Am nächsten Morgen besuchte Bäcker seinen Sohn im Palmenwald. Paul fällte dort Bäume, um mit der Motorsäge Bretter daraus zu schneiden. Anne,
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