Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn
Fäuste gegeneinander. »In jedem sitzen zehn.«
»Das ist eine ganz schöne Armee gegen drei Menschen.«
»Wir haben Gewehre, Vater«, sagte Paul ruhig. »Wir könnten in die Luft schießen und sie abschrecken. Ich weiß, daß du sogar eine Kiste mit Handgranaten im Haus stehen hast. Und wir haben unser Funkgerät.«
»Für Hilfe von außen ist es zu spät«, sagte Bäcker. »Und die Zeit, als die Papuas vor einem Knall auf das Gesicht fielen, ist längst vorbei. Wir leben in einer Zeit, da ihre Atolle von Düsenflugzeugen überdonnert werden, und keiner glaubt mehr, daß das ein göttlicher Riesenvogel ist.«
»Dann laß uns zum Schiff laufen und wegfahren!« Anne umklammerte Bäckers Arm. Als er in ihre Augen blickte, waren sie wie vor zwanzig Jahren, als sie zusammen mit dem Polizisten Paul Shirley auf die Insel geschwemmt worden war und Shirley zu Bäcker sagte: »Sie ist eine Mörderin!«
Augen, in denen die Welt unterging.
»Flüchten?« sagte Bäcker langsam. »Alles zurücklassen? Unser Paradies?«
»Sie bringen uns um!« schrie Anne. »Es ist ihre Insel. Ihre Toteninsel! Oh, ich hasse diese Insel, ich hasse sie, ich hasse sie …«
»Anne!«
Er starrte sie betroffen an und wußte plötzlich, daß sie die Wahrheit sagte. Sie hatte zwanzig Jahre mit ihm hier gelebt, weil sie ihn liebte, aber sie mußte zwanzig Jahre lang jeden Tag von neuem diese Insel gehaßt haben. Sie hatte mit ihm eine eigene Welt aufgebaut, mit der Axt, an der Betonmischmaschine, am Schraubstock, hinterm Pflug, an der Kreissäge … und sie hatte die ganze Zeit immer Angst gehabt, hatte diese kleine Welt im Innern stets verflucht. Was für eine Frau!
»Ich werde verhandeln«, sagte Bäcker heiser. »Ich werde mit den Häuptlingen sprechen. Ich hasse Gewalt.«
Er blickte seinen Sohn an. Paul hatte wie schützend den Arm um Anne gelegt, aber sein Gesicht zeigte völlige Ratlosigkeit.
Sie haßte die Insel?
Er verstand seine Mutter nicht mehr.
»Junge –«, Bäcker drehte dem Meer den Rücken zu, er wollte jetzt nicht auf die Boote blicken. »Wir hatten uns geschworen, nie einen Menschen zu töten.«
»Dafür töten sie dich!« schrie Anne. Die Angst brach aus ihr heraus, als berste sie auseinander. »Wir gehen auf das Schiff!«
»Es ist doch sinnlos.« Bäcker blickte über sein Werk. Das Haus, die Felder, die Scheunen, die Ziegenherde, die kleinen, schwarzen Schweine, der Wasserturm, die Energiestation, das Windrad … aus dem Nichts habe ich das geschaffen, dachte er. Ein Staubkorn Erde ohne Süßwasser war es, und was ist daraus geworden? So etwas kann nicht vorbei sein, nur weil ein paar Medizinmänner einen uralten Götzenglauben wieder aufwärmen.
»Wir kommen nicht über die Korallenbänke hinweg, erst in drei Stunden, beim höchsten Stand der Flut. Anne – solange ein Mensch Worte hat und sprechen kann, wird er sich verständigen können, gibt es die Chance, den Frieden herbeizureden.«
»Aber nicht hier!« Annes Kopf sank gegen die Brust ihres Sohnes. »O Gott, warum sind wir hiergeblieben? Warum haben wir diesen Irrsinn zwanzig Jahre durchgehalten?«
»Weil wir glücklich waren, Anne.«
Bäcker drehte sich um. Es war ein herrlicher Tag. Das Meer spiegelte, außerhalb der Lagune schnellten Delphinschwärme aus der See. Ihre blanken Leiber glitzerten wie Metall.
»Richten wir uns zur Verteidigung ein, Anne«, sagte er. »Paul, du baust einen Wall aus Holz. Anne, hole die Raketen und Handgranaten. Gib mir ein paar Handtücher. Ich werde weiße Fahnen in den Ufersand stecken. Sie sollen sehen, daß wir keinen Krieg wollen. Wir haben noch eine Stunde Zeit …«
Eine Stunde.
Drei gegen fünfhundert. Ein Mann, eine Frau und ein junger Mensch, der nur das Töten von Tieren kannte, weil man von ihnen lebte.
»Sieh dir das an, Vater«, sagte Paul. Er hatte kurzgeschnittene Palmstämme herangeschleppt und aus ihnen einen Wall gebaut. Jetzt dehnte er sich, wischte sich den Schweiß von der Stirn und atmete tief. Sein breiter Brustkorb wölbte sich, die Arm- und Brustmuskeln waren wie dicke, gedrehte Taue.
Einen solchen Sohn zu haben ist etwas Wunderbares, dachte Bäcker. Er ist wirklich ein Stück dieser schönen, wilden Welt um uns herum. Nur die Augen hat er von Anne, diese großen, verträumten Augen.
»Sieh dir das an!« sagte Paul noch einmal und zeigte übers Meer.
Anne kam vom Haus gelaufen, auf den Armen trug sie einen Haufen Bambusstangen, an die sie weiße Handtücher gebunden hatte. Sie ließ sie vor
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