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Wer war Jesus

Wer war Jesus

Titel: Wer war Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Luedemann
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deutschem Recht darf niemand diesen Vornamen bekommen.
     Im kulturellen Gedächtnis verbindet sich mit ihm eine ruchlose Tat, und die vier Evangelien des Neuen Testaments deuten sie
     in zahlreichen Variationen als Auslieferung des Gottessohnes in feindliche Hände. Bereits für die ältesten Christen war es
     unvorstellbar, dass dieses Verbrechen des Judas keine schwere Strafe nach sich ziehen würde. So malten sie das schreckliche
     Ende des Judas auf verschiedene Weise aus.
    Die wissenschaftliche Arbeit an den Judastexten des Neuen Testaments hat hinsichtlich ihrer Absicht zu einem großen Konsens
     geführt. Seine Voraussetzung: Matthäus und Lukas haben, unabhängig voneinander, Markus als das älteste erhaltene Evangelium
     benutzt, Johannes ist das jüngste Evangelium.
    Daraus ergibt sich mit Blick auf Judas’ Plan, Jesus auszuliefern, eine zunehmende erzählerische Steigerung: Markus berichtet
     von der Kontaktaufnahme des Judas mit den feindlichen jüdischen Behörden; Matthäus übernimmt dies und unterstellt Judas Geldgier;
     Lukas ergänzt die Einzelheit, dass der Satan in Judas gefahren sei, um ihn diese Tat begehen zu lassen, und Johannes vergleicht
     Judas mit einem Teufel.
    Bezüglich des Vorauswissens Jesu von seiner eigenen Auslieferung durch Judas lässt sich folgende Entwicklung beobachten: Die
     ersten drei Evangelisten verstehen Jesu Vorauswissen um den »Ver rat « |47| durch Judas als Teil seiner Allwissenheit, Johannes ordnet Jesu Vorauswissen einem kosmischen Gegensatz von Licht und Finsternis
     zu, in dem das Licht die Finsternis besiegt und Judas als Repräsentant der Finsternis zu einem Schreckbild wird.
    Während die Berichte der ersten drei Evangelien von der Gefangennahme Jesu unter Mithilfe des Judas keine auffälligen Unterschiede
     enthalten, sondern gemeinsam vor allem dessen Heimtücke zeigen, fallen im Kontrast dazu die Ausschmückungen und Übertreibungen
     der Erzählung des Johannes ins Auge. In ihr stürzt eine römische Kohorte (600–1000 Mann), angeführt von Judas, vor Jesus zu
     Boden.
    Die Berichte vom Ende des Judas widersprechen einander: Matthäus beschreibt den Selbstmord Judas’ durch Erhängen, die Apostelgeschichte
     lässt seinen Körper bei einem Unfall bersten. Es handelt sich bei diesen Berichten ebenso wie bei den anderen Judaserzählungen
     des Neuen Testaments um legendäres, historisch wertloses Material. Das gleiche Urteil gilt auch für das neu gefundene Judas-Evangelium.
     Denn sein Erzählrahmen setzt die Evangelien des Neuen Testaments und die Apostelgeschichte des Lukas voraus, während die Dialoge
     in der Haupthandlung – getreu gnostischer Theologie des zweiten Jahrhunderts – Judas als einen Vertrauten Jesu zeichnen.
    Nun wurde in der bisherigen Judasdiskussion zweierlei nicht hinreichend berücksichtigt: Erstens, das griechische Verb
paradidômi
, das vielfach mit »verraten« übersetzt wird, bedeutet in Wirklichkeit »ausliefern«, »überliefern«, »dahingeben«; zweitens,
     der weitaus älteste Text zur Auslieferung Jesu steht im ersten Brief des Paulus an die Korinther. Er ist Teil einer Abendmahlstradition,
     die Paulus selbst wohl unmittelbar nach seiner Bekehrung, etwa drei Jahre nach der Kreuzigung Jesu, übernommen und an die
     Korinther bei der Gründung der Gemeinde weitergegeben hat. Der Apostel schreibt in der Einleitung: »Der Herr Jesus, in der
     Nacht, da er ausgeliefert wurde.« Die von Paulus zitierte Überlieferung suggeriert, dass Jesus der im Jesajabuch verheißene
     Gottesknecht sei und als solcher von |48| Gott selbst zum heilvollen Sterben für die Christenheit »dahingege ben « wurde – eine Aussage, die in die allererste Zeit zurückgeht und sich breit gestreut im frühchristlichen Schrifttum findet.
    Mit dem Akt eines Verräters hat die Auslieferung in diesem Stadium der Traditionsgeschichte nichts zu tun, denn sie ist eine
     theologische Deutung und gehört zu den ältesten Glaubensformeln. Daher sollte man Judas auch nicht in sie hineinlesen. Gegen
     ein solches Vorgehen spricht ferner die Tatsache, dass Jesus nach seiner »Auferstehung« alsbald den zwölf Jüngern erschien
     und dass auch Judas zu den Zwölfen gehörte. Jesus hatte diesen Kreis gegründet. Kein Wunder, dass nach der Überwindung des
     Schocks von Karfreitag diese Zwölf mit Kephas an der Spitze den vermeintlich auferweckten Christus als Erste in einer Vision
     sahen. Angesichts dessen ist es höchst unwahrscheinlich, dass Judas als einer

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