Wer war Jesus
beteiligt.
Pilatus betont ihnen gegenüber mehrfach, keine Schuld an Jesus zu finden, und versucht bis zum Schluss, ihn freizulassen.
Schließlich drohen die Juden ihm und spielen ihren letzten Trumpf aus, indem sie ihn der Illoyalität gegenüber dem Kaiser
bezichtigen. Um Jesus loszuwerden, schrecken die Hohenpriester nicht einmal davor zurück, den messianischen Anspruch des Volkes
preiszugeben. Sie unterwerfen sich dem heidnischen Kaiser (»wir haben keinen König außer dem Kaiser«). Erst jetzt gibt sich
Pilatus geschlagen.
Angesichts des quellenkritischen Verhältnisses der neutestamentlichen Evangelien zueinander ist für die historische Frage
ausschließlich die Leidensgeschichte des Markus relevant. Die anderen drei Evangelisten schreiben, jeder auf seine Weise,
das älteste Evangelium fort; sie belasten die Juden immer stärker und sie entlasten Pilatus. Der Markus-Bericht über die Verurteilung
Jesu vor dem Hohen Rat orientiert sich Stück für Stück am Verhör vor Pilatus. Die beste Erklärung für diesen Befund ist die,
dass die Szene vor dem Hohen Rat auf der Grundlage eines Berichts von der Vernehmung vor Pilatus komponiert wurde. Das heißt
zugleich, dass sie als Quelle entfällt.
Innerhalb des Verhörs vor Pilatus ist die Barabbas-Szene mit der Angabe, dass Pilatus den Juden zum Passahfest einen Gefangenen |44| ihrer Wahl freilassen will, reine Erfindung; ein solcher Usus der Einzelbegnadigung durch den Statthalter war unbekannt. Das
Zwischenspiel dient überdies dazu, die Schuld der Juden noch zu vergrößern, denn sie wählen die Freilassung des Verbrechers
Barabbas und ziehen ihn dem unschuldigen Jesus vor.
Markus zeichnet den Statthalter Pilatus als einsichtsvollen Menschen, der die jüdischen Oberen durchschaut und die Unschuld
Jesu erkennt. Außerdem beschreibt der älteste Evangelist den Römer als Schwächling, der den Forderungen der Juden nachgibt.
Indes enthalten profane Quellen des 1. Jahrhunderts glaubwürdige Informationen, die das Porträt des Markus widerlegen: Unter
Pilatus seien »Bestechlichkeit, Gewalttaten, Räubereien, Misshandlungen, Kränkungen, fortwährende Hinrichtungen ohne Urteilsspruch,
endlose und unerträgliche Grausamkeiten« vorgekommen, berichtet der jüdische Philosoph Philo. Und den jüdischen Protest gegen
den Missbrauch des Tempelschatzes für den Bau einer Wasserleitung weiß Pilatus mit brutaler Gewalt zu unterdrücken – so der
jüdische Historiker Josephus. Es passt zu dem Bild eines grausamen römischen Beamten, dass Pilatus auch eine große Menge von
Galiläern niedermachen ließ, als diese ihre Opfer im Jerusalemer Tempel darbrachten.
Der Umfang dessen, was wir in der Passionserzählung als Tatsachen zu erkennen vermögen, ist verschwindend gering – und trotzdem
beachtlich. Negativ: Eine direkte jüdische Beteiligung am Verfahren gegen Jesus scheidet aus, die Verhandlung vor dem Hohen
Rat hat ja nicht stattgefunden. Aussagen eines indirekten jüdischen Anteils an der Exekution unterliegen dem Verdacht, frühchristlicher
Judenfeindschaft zu entspringen; diese prägt das älteste Evangelium von Anfang an. Positiv: Jesus wurde in Jerusalem gekreuzigt.
Bereits mehr als zwei Jahrzehnte vor der Abfassung des Markusevangeliums spricht der Apostel Paulus, der in den Dreißigerjahren
im christlichen Glauben unterwiesen wurde, wiederholt von Jesus, dem Gekreuzigten.
|45| Da die Kreuzigung eine römische Strafe war, können wir schlussfolgern: Die Römer haben Jesus den Prozess gemacht und hingerichtet.
Der Grund für das Einschreiten gegen ihn stand auf der Kreuzesinschrift. Jesus starb, weil die Römer ihn irrtümlich für den
»König der Juden« hielten. Dieser Titel ist aus römischer Perspektive formuliert und deswegen geschichtlich. Die christliche
Kirche muss – belehrt durch die historische Kritik der biblischen Passionsgeschichte – auch die Beschuldigung zurücknehmen,
dass die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen hätten. Jesu Exekution war ein Justizmord,
ausgeführt einzig und allein durch die römische Staatsmacht. Ohne diesen Mord hätte es die mächtigste Weltreligion nicht gegeben.
|46| 10. Das falsche Feindbild von Judas, dem Verräter 1
Die Person des Judas Iskariot, des Mannes aus Karioth im südlichen Juda, ist in unserer Gesellschaft bis heute negativ besetzt.
In der Alltagssprache gilt Judas als Inbegriff des Verräters, und nach
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