Wer war Jesus
mit Großbuchstaben gedruckten älteren Handschriften ohne Akzent geschrieben
war, mit einem Dehnungszeichen (Zirkum flex ) auf dem letzten Vokal Alpha = a: Iouniân. Dann hätte Paulus Andronikus und Junias (Kurzform von Junianus) gegrüßt. Die weite
Verbreitung dieser Ansicht zeigt sich daran, dass man sie in den für den kirchlichen Gebrauch bestimmten Übersetzungen des
Neuen Testaments (Luther; Einheitsübersetzung; Neue Jerusalemer Bibel) findet, aber auch in der gängigen wissenschaftlichen
Ausgabe des Neuen Testaments von Nestle-Aland, 27. Aufl. Jedoch |54| ist diese These auch nach der Meinung der meisten Fachleute unhaltbar:
Zum ersten verstehen die griechischen Kirchenväter Iounian ausnahmslos als Frauennamen, zum zweiten gibt es für »Junias« als
Kurzform des häufigen Männernamens »Junianus« bisher keinen antiken Beleg und zum dritten war der Frauenname »Junia« in der
Antike weit verbreitet. Er liegt an unserer Stelle zugrunde, wenn man statt des Zirkumflex über dem letzten Alpha den steigenden
Akzent (Akut) auf das Jota setzt: Iounían.
Der Beweis, dass Paulus im Römerbrief Junia und nicht Junias grüßen lässt, bedeutet: Eine Frau gehörte bereits in frühchristlicher
Zeit zu den Aposteln. Um welche Art Apostel geht es? Der Ausdruck »Apostel der Gemeinden«, den Paulus andernorts verwendet,
um die von einer bestimmten Gemeinde zeitweilig Abgesandten zu benennen, kommt als Parallele nicht in Frage. Denn Paulus gebraucht
an der vorliegenden Stelle den Begriff »Apostel« absolut. Andronikus und Junia dürften daher ebenso Apostel gewesen sein wie
Paulus und zur Gruppe »aller Apostel« gehört haben. Paulus nennt diesen Kreis im Ersten Korintherbrief, Kapitel 15, Vers 7,
innerhalb eines komprimierten Geschichtsbericht, der die Form von Bekenntnissen hat, und schmuggelt sich in den Kreis der
Apostel hinein: Christus sei zuerst Kephas (Petrus) erschienen, dann den Zwölf, dann mehr als 500 Brüdern, dann Jakobus, dann
allen Aposteln, zuletzt Paulus.
Den Apostolat von Andronikus und von Junia hat im Verständnis des Paulus der »Auferstandene« selbst legitimiert und dem Ehepaar
– somit auch Junia – dieselbe apostolische Lehr- und Leitungsvollmacht gegeben wie ihm selbst und allen anderen im Geschichtsbericht
Genannten. Paulus schreibt, dass Andronikus und Junia, seine Landsleute, bereits vor ihm – nach der üblichen Chronologie:
zwischen 30 und 33 n. Chr. – Christen geworden seien. Er kennt sie seit langem und war mit ihnen auch schon einmal inhaftiert.
Da die Bekehrung des Paulus, wie der Galaterbrief voraussetzt, in Damaskus stattfand, dürfte das Ehepaar den |55| christlichen Glauben ebenfalls in der südsyrischen Metropole angenommen haben.
Junia war nicht die einzige Apostelin in der christlichen Frühzeit; es gab weitere, über die sich aber keine Nachrichten erhalten
haben. Umso wichtiger bleibt der Beweis, dass Junia zum ältesten Apostelkreis gehört hat, der sich bald nach der »Auferstehung«
Jesu Christi konstituierte. Er lässt das fast 2000 Jahre alte Dogma, dass Jesus Christus die Kirche auf dem Fundament des
nur aus Männern bestehenden Apostelkreises gegründet habe, wie ein Kartenhaus zusammenstürzen, und legt ein bisher unbekanntes
Christentum frei, das auch Protestanten faszinieren wird.
|56| 13. Der Gründer des Christentums 1
Paulus galt zu Recht als eine der einflussreichsten Personen des christlichen Abendlandes. Er war Jude, Römer und Christ zugleich.
Sich selbst sah er vor allem als Apostel, vom auferstandenen Jesus persönlich dazu berufen, das Evangelium in die Heidenwelt
zu tragen.
Zum Glauben an Christus gelangte Heiden machten Paulus zur tragenden Säule der christlichen Kirche und gaben ihm in ihr einen
bleibenden Ort: zuerst als dem Verfasser von Briefen, die Teil des Neuen Testaments wurden, sodann als vermeintlichem Schreiber
von sechs untergeschobenen weiteren Briefen, die ebenfalls Aufnahme in die Heilige Schrift fanden. Aber damit nicht genug:
Den dreizehn Paulusbriefen wurden noch sieben weitere Briefe hinzugefügt, die man mit falschen Absenderangaben wie »Petrus«,
»Jakobus« und »Judas« ausstattete oder andeutungsweise Johannes zuschrieb. Die Entstehung dieser Briefsammlung – »katholische
Briefe« genannt – wurde vom Vorbild der Schreiben des Paulus angeregt. Ohne den Heidenapostel und sein Werk hätte es sie nicht
gegeben.
Die Wirkung des Paulus wird auch deutlich
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