Wer war Jesus
dieser Zwölf Jesus vorher »verraten« hat.
Spätere Textzeugen korrigieren daher den Paulustext an dieser Stelle und lassen die Ersterscheinung nur vor elf Jüngern geschehen
sein. Ebenso sieht es auch Matthäus, und der Verfasser der Apostelgeschichte erzählt sogar von der durch den »Verrat« des
Judas notwendig gewordenen Nachwahl. Indes handelt es sich in beiden Fällen um Harmonisierungen, welche die sekundären Erzählungen
vom »Verrat« des Judas verarbeiten. Erst als Christen eine Generation nach Paulus die zunächst rein theologisch gedeutete
Passion Jesu mit Geschichte auffüllten, benötigten sie einen historisch identifizierbaren Auslieferer. Die Glaubensformel,
dass der »Herr« von Gott zum Heil ausgeliefert worden sei, rief die Frage nach dem Ausführer dieser Tat wach. Man verfiel
auf den Jesusjünger Judas aus Karioth in Judäa. Das Judenvolk, das die Christen von Beginn an als schuldig am Tode Jesu angesehen
haben, konnte keiner besser symbolisieren als er (Judas / Juda / Juden). Erst jetzt bekam die Dahingabe zusätzlich eine unheilvolle
Seite (»wehe dem Menschen, durch den der Menschensohn ausgeliefert wird«). Judas und Juden wurden zu Unmenschen stilisiert
– mit bis heute anhaltender Wirkung.
|49| 11. Pius-Bruderschaft – Keine Zukunft mehr 1
Die Kontroverse um die päpstliche Aufhebung der Exkommunikation von vier Bischöfen der Pius-Bruderschaft macht deutlich: Das
Thema Antijudaismus ist nach wie vor hochaktuell. Denn diese Erzkatholiken halten die Juden für mitschuldig am Gottesmord
und rufen zu ihrer Bekehrung auf. Zu Recht stoßen die judenfeindlichen Anschauungen der Pius-Brüder in großen Teilen der Öffentlichkeit
auf Empörung und Kritik. Was dabei aber regelmäßig übersehen wird, ist die Tatsache, dass diese gefährlichen Exoten sich durchaus
auf das Neue Testament berufen können. Das ist nämlich ebenfalls stark von Antijudaismus geprägt. Demnach gilt: Wenn Christen
– mit guten Gründen und in bester Absicht – gegen die Pius-Bruderschaft Stellung beziehen, brechen sie, ob sie es nun wissen
oder nicht, zugleich den Stab über das Grunddokument ihres Glaubens.
Christliche Judenfeindschaft findet sich bereits im ältesten Text der jungen Kirche: Der Apostel Paulus spricht im Ersten
Brief an die Thessalonicher in Anlehnung an antiken Antisemitismus und christliche Vorgänger von den ungläubigen Juden als
solchen, die Gott nicht gefallen und allen Menschen feindlich sind, und behauptet, die Juden hätten den Herrn Jesus getötet.
Diese antijüdische Entgleisung nimmt Paulus später im Römerbrief zurück und schärft die bleibende Erwähltheit Israels ein.
Ein bis zwei Generationen danach machen alle vier Evangelien und die Apostelgeschichte den Römer Pilatus – aus anderen antiken
Quellen als skrupelloser und grausamer Beamter bekannt – zu |50| einem wankelmütigen Schwächling, der von sich aus gar nicht gegen Jesus vorgegangen wäre. Auf diese Weise schieben sie den
Juden die Schuld für die Hinrichtung des Gottessohnes in die Schuhe. Der Verfasser des Matthäusevangeliums lässt sie im Rahmen
des Prozesses Jesu sogar sagen: »Sein Blut komme über uns und unsere Kinder«, nämlich – so muss man hinzufügen – wenn er unschuldig
ist. Für Matthäus, der an der Unschuld Jesu natürlich keinen Zweifel hat, heißt das: Die jüdischen Ankläger haben die blutige
Strafe, die sie für den Tod Jesu tragen müssen, selber heraufbeschworen. Dem entspricht, dass der erste Evangelist, ebenso
wie Markus und Lukas, in der Verwerfung Jesu den Grund für die Zerstörung Jerusalems durch die Römer sieht. Die im Rückblick
auf das Jahr 70 n. Chr. formulierte »Voraussage« Jesu über die Umzingelung, das Niederbrennen und die Schleifung der heiligen
Stadt verknüpft er mit dem Gedanken, dass das jüdische Volk enterbt und durch die Kirche ersetzt wird.
Schließlich, als Gipfelpunkt des Antijudaismus, stilisiert der Verfasser des Johannesevangeliums die Juden als Vertreter der
ungläubigen Welt und legt seinem mit ihnen diskutierenden Jesus die Worte in den Mund: »Ihr seid von dem Vater, dem Teufel,
und die Begierden eures Vaters wollt ihr tun.«
Die Entstehung des Antijudaismus ist direkt mit dem Anspruch verbunden, dass nur in Christus und in keinem anderen Heil sei.
Ein Petrus angedichteter Satz gibt die Durchschnittsposition christlicher Gruppen der Frühzeit wieder: »Es ist in keinem anderen
die Rettung;
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