Wer war Jesus
diesem nichts zu tun. So sind sämtliche
Voraussagen, die alljährlich im Weihnachts- und Karfreitagsgottesdienst erklingen, erst nachträglich mit Jesus in Verbindung
gebracht worden. Weder hatte der Prophet Jesaja im achten vorchristlichen Jahrhundert Jesus im Sinn, als er dem König Ahas
die Geburt eines Sohnes voraussagte (vgl. Jes 7,14), noch sind die alttestamentlichen Gottesknechtslieder Weissagungen über
den gekreuzigten Gottessohn. Mit anderen Worten, die so eindringlichen Sätze Jes 53,4 – »Fürwahr, er trug unsere Krankheit
und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre« –
haben mit Jesus nicht das Geringste zu tun, sondern beziehen sich auf jemand anderen, vielleicht sogar auf das Schicksal des
Volkes Israel ein halbes Jahrtausend vorher.
Ich könnte hier die durch die historische Kritik unwiderleglich und ein für allemal herausgearbeiteten Widersprüche zwischen |117| dem christlichen Glauben und dem tatsächlichen geschichtlichem Hergang noch lange fortsetzen. Die Schlacht ist aber inzwischen
zu Ungunsten des Glaubens entschieden. Zwischen dogmatischer Sicht und historischer Rekonstruktion klafft ein Widerspruch,
den kein Interpretationsversuch der Welt rückgängig machen kann.
Doch haben moderne Theologen den Widerspruch zwischen Glauben und Wissen aufzulösen versucht. Sie wenden sich beispielsweise
sogar entschieden gegen die Annahme, dass die Auferstehung Jesu eine geschichtliche Tatsache bzw. überhaupt ein Vorgang in
Raum und Zeit sei. Sie sagen vielmehr: Sachlich bedeutsam an der Rede von der Auferstehung Jesu sei nur, dass der Gekreuzigte
nicht vernichtet ist. Denn der Auferstandene sei der Gekreuzigte und nur als solcher für uns heute zu sehen. Doch scheint
mir eine solche inhaltliche Bestimmung von Auferstehung sinnlos, da sie mit dem Wort »Auferstehung« schlechterdings nichts
mehr gemein hat. Unter dieses zugegebenermaßen harte Verdikt fällt auch das Programm Rudolf Bultmanns, die Botschaft des Neuen
Testaments zu »entmythologisieren«. Bultmann wollte den Kern des christlichen Glaubens durch eine Interpretation bewahren,
die sich mit dem heutigen Weltbild vereinbaren lässt. Jedoch ist die zur Rettung der Auferstehung aufgestellte These, Jesus
sei »in die Verkündigung auferstanden«, eine vollständige Entleerung der im Neuen Testament vorausgesetzten körperlichen Auferstehung.
Was aber ist gegenüber dem Versuch zu sagen, den christlichen Glauben unter Rückgang auf Jesus zu retten und Jesus etwa als
Zeugen des Glaubens zu verstehen? Kann man so nicht guten Gewissens alles Sekundäre streichen, die Auferstehung als reine
Interpretation auffassen und somit zu Jesus als dem ersten Christen in eine Beziehung treten? Die Antwort auf diese Frage
muss ein entschiedenes »Nein« sein. Denn diesem Versuch gegenüber ist an das sicher verfügbare Wissen zu erinnern, dass Jesus
der Religion des Judentums angehörte. Von hier zur christlichen Religion ist es ein weiter Weg. Die Entwicklung des christlichen
Dogmas geschah nämlich |118| auf Kosten Israels, gegen die Intention Jesu, der eine Kirche gar nicht erwartet hatte. Man kann Jesus daher nicht mit gutem
historischen Gewissen für die christliche Religion in Beschlag nehmen. Jesus gehört Israel an.
Angesichts dieses sicheren Befundes passt auf die weitere Verteidigung des christlichen Dogmas durch heutige Theologen wohl
nur der Vorwurf »Betrug«, wie ihn bereits jüdische Zeitgenossen im ersten Jahrhundert geäußert haben (vgl. Mt 27,64; 28,15).
Denn christliche Dogmatiker führen wiederum wider besseres Wissen eine Sicht Jesu ein, die mit Jesus, wie er wirklich war,
nichts zu tun hat. Erinnert sei, neben dem bereits Gesagten, an die schlichte Tatsache, dass Jesus Mensch und nichts als Mensch
war. Er hat sich durch seine Taufe zur Vergebung der Sünden ganz auf die Seite der sündigen Menschheit gestellt, so dass seine
Erhöhung zum Weltenherrn und zum sündlosen Gottessohn nur als merkwürdiges Schauspiel anzusehen ist. Dieses Schauspiel, so
sehr seine Glaubensnotwendigkeit betont werden mag, ist im Lichte des historischen Wissens ein für allemal unmöglich geworden.
III.
Nun kennt das Wissen selbst seine Grenzen. Es kann z. B. im historischen Bereich immer nur Wahrscheinlichkeitsurteile fällen,
und die von ihm angewandte Methode trägt das Mittel in sich, das Wissen immer
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