Wer weiter sehen will, braucht hoehere Schuhe
Neuseeland von 1954 ein absolutes Unding war. Noch irgendetwas auf der Liste?
Die Zeit verging, und Marcel wurde zu »Marcel wer?« Während meiner Teenagerzeit hielt die medizinische, sexuelle und gesellschaftliche Revolution Einzug: die Erfindung der Antibabypille – zehn Jahre nach der Erfindung des Fernsehens. Bis zu dieser Ära waren Fernsehen und Pond’s Nachtcreme die gebräuchlichsten Methoden zur Geburtskontrolle gewesen. Frauen klatschten sich die dicke weiße Pampe vor dem Zubettgehen ins Gesicht und hielten sich so ihre Männer vom Leib. Familien, die sich zuvor unterhalten, ums Klavier versammelt oder abends gelesen hatten, waren erleichtert, dass ihnen diese Last von den Schultern genommen worden war. Schon bald darauf kam die nächste Revolution: der Feminismus. Sie können sich bestimmt vorstellen, dass wir nicht wussten, wo uns der Kopf stand.
Als ich Anfang zwanzig war, las alle Welt Germaine Greers Der weibliche Eunuch . Ich ging zu einem ihrer Vorträge an der Universität und hätte alles darum gegeben, wie diese Amazonenkönigin zu sein. Sie war bildschön, witzig, klug und geradlinig. Doch sie hatte auch ihre wilde Seite, war vulgär, schlief mit Rockstars und machte sich über die Institution der Ehe lustig. Zu der Zeit keimte der Verdacht in mir auf, die Ehe sei sowieso ein Fall für den Mülleimer, nicht etwa, weil ich wusste, wovon ich redete, sondern weil ich von Natur aus aufmüpfig war. Die förmliche, gesellschaftlich legitimierte, privilegierte und symbiotische Struktur der Ehe sei nicht vorteilhaft für die Frau, verkündete Germaine. Ich war sowieso nicht vom Konzept der Kleinfamilie überzeugt und konnte mir nicht vorstellen, welchen Vorteil eine Ehe für mich bereithalten sollte, abgesehen davon, dass ich ein neues Kleid bekäme. Und da stand die atemberaubende, derbe, rasend witzige Germaine auf dem Podium und zog erbarmungslos über die großen Mythen der Mittelklasse, die Liebe und die Ehe, her. Werdet erwachsen, und legt euch ein Leben zu, sagte sie zu uns. Okay, sagten wir und tanzten weiter durch die Gegend. Auch für Männer erwies es sich als ratsam, den Feminismus mit offenen Armen willkommen zu heißen, denn auf diese Weise ließen wir uns wesentlich leichter flachlegen. Die Kerle hingegen konnten ihr Glück kaum fassen, dass emanzipierte Mädchen nicht erst mühsam zum Sex überredet werden mussten.
Als junge Frau revoltierte ich, wie jeder mit einem funktionierenden Gehirn, gegen den vermeintlichen Konformismus, die unverschleierten Heucheleien und die Bequemlichkeitslügen der Gesellschaft. Als Hippie und Flüchtling vor der Mittelklasse hingen meine Freunde und ich dem festen Glauben an, allein die Gegenwart zähle. Nicht nur hatte der Katholizismus seine Berechtigung eingebüßt, sondern die Ehe rangierte in meinen Augen irgendwo zwischen uncoolem Lebenskonzept und blanker Sklaverei. Weshalb sich an einen einzigen Menschen binden? Und wer brauchte überhaupt diesen Fetzen Papier? Wir hielten uns für Helden und Revolutionäre. Und nicht zu vergessen dieses wunderbare Gefühl der Zugehörigkeit und Gemeinschaft – wir gegen den Rest der Welt. Wir fühlten uns unendlich mächtig und waren der festen Überzeugung, dass wir die Welt verändern konnten. Tatsache war, die Welt um uns herum veränderte sich ganz allein. Trends wie Bio-Kost, lässige Hippie-Mode (die uns seitdem bereits ein- oder zweimal wieder begegnet ist), Intellektualität, Umweltbewusstsein, Meditation und all das, die heutzutage selbstverständlich sind, hatten ihre Ursprünge in der Hippiezeit. In den Neunzigern taten diese nervtötenden New-Age-Freaks so, als hätten sie noch nie vorher vom Chillen gehört, was wahrscheinlich auch stimmte. Meine Freunde und ich waren manchmal so chillig drauf, dass wir uns drei Tage lang nicht vom Fleck rührten. Wir waren wirklich so unglaublich cool!
Lust & Liebe
Eines Tages, damals war ich gerade in den Vierzigern, beschloss ich, einen Liebesroman zu schreiben. Ich meine, wie schwer konnte das schon sein? Ich hatte mich nie überwinden können, über die schlechte Schreibe hinwegzusehen und eines dieser Machwerke zu Ende zu lesen, war aber der festen Überzeugung, ohne Weiteres selbst eines schreiben zu können. Sie kamen so unschuldig daher, eine vorhersehbare Story, in der es nie übers Küssen hinausging. Es bot sich an, einige jüngst erschienene Romane zu lesen, bevor ich anfing, also zog ich mit einer Freundin los und kaufte mir drei Schnulzen, um ein
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