Wer weiter sehen will, braucht hoehere Schuhe
explodieren scheint. Die ganze Prozedur dauert in Wahrheit gerade einmal drei Minuten. Ein grüner Punkt auf dem Namensschild bedeutet, dass man zu Fuß zum Essen gehen kann, viel mehr allerdings nicht; ein blauer Punkt symbolisiert, dass man ziemlich fit ist; ein rosa Punkt qualifiziert einen praktisch als Triathleten. Dann verleibt man sich ein gemeinsames Entgiftungsabendessen aus Gemüse und Obst ein, zumeist roh und von absolut sensationeller Qualität und Auswahl. Kein Fleisch, kein Fett, kein Zucker, nicht mal eine Prise Salz und viel – na, was wohl? Wasser oder Kräutertee.
Wenn man wie Jane und ich und die meisten anderen der fünfzig Gäste ist, die sich für eine Woche ins Golden Door begeben haben, gehört man zu den schwer arbeitenden Menschen, die nicht gerade viel Sport treiben, sich mit Giften wie Alkohol, Kaffee, Tee und Zucker vollstopfen und genau wissen, dass sie eigentlich meditieren sollten, es aber trotzdem so gut wie nie schaffen. Die Woche umfasst jede Menge Massagen, Algen-und-Schlamm-Packungen, Gesichtsbehandlungen und Aromatherapie. Außerdem eine ganze Palette an Spielen, Tanz und Musik, einen Ausflug zum Beobachten von Vögeln und Wassertherapie, allesamt darauf ausgerichtet, einen unbemerkt fit zu machen, während man lernt, wieder einmal aus vollem Halse zu lachen. Die Wassertherapie sollte nicht mit den pazifikartigen Mengen an Wasser verwechselt werden, die man täglich zu sich nehmen sollte. Wenn Sie sich selbst einen Gefallen tun wollen, hören Sie nach dem Abendessen mit dieser Trinkerei auf, sonst sind Sie die ganze Nacht damit beschäftigt, zur Toilette zu rennen.
Am zweiten Tag setzen bei den Alkohol-, Nikotin- und Kaffeefreaks Kopfschmerzen und Übelkeit ein, weil der Körper auf Entzug geht. Jane und ich litten allen Ernstes unter Olivenöl-Entzug. Jane rief mehrmals ihre Familie an und erzählte ihnen, was es zu essen gab. Ich hörte, wie sie am anderen Ende entsetzt nach Luft schnappten. Um neun Uhr abends lagen wir in unseren Betten, völlig erledigt, glücklich und mit dem Gefühl, jeden Teil unseres Körpers auf angenehmste Art und Weise zu spüren. Ab dem zweiten Tag waren wir wie verwandelt. Um Punkt halb sechs Uhr früh hörte ich Jane im anderen Zimmer aufstehen, ihren grünen Tee zubereiten und den neuen Tag willkommen heißen. Ich lag wach im Bett, fühlte mich wunderbar und freute mich aufs Tai Chi. Um halb sieben standen wir (fast ausnahmslos) auf der Wiese neben dem riesigen Feigenbaum und wärmten uns mit gegenseitigen Schultermassagen und Bauchklopfen auf. Tai Chi zu lernen war eines der Highlights meines Aufenthalts im Golden Door . Die langsamen, kontrollierten Bewegungen sind wunderschön und »den Mond ansehen«, während einem die aufgehende Sonne ins Gesicht scheint und die Vögel rings um einen ihren fröhlichen Gesang anstimmen, ist ein herrliches, geradezu erhebendes Gefühl. Als Nächstes kam die Buschwanderung. Und danach freute man sich auf sein Frühstück aus Haferbrei, Müsli, Obst und Joghurt; all das bereits vor acht Uhr früh, und es fühlte sich grandios an. Die Obstteller waren riesig, eine beeindruckende Auswahl an Papaya, Erdbeeren, Bananen, Ananas, Passionsfrucht, Wasser- und Honigmelone sowie gelben und grünen Kiwis.
Jane nahm viele Tennisstunden und schwor, noch nie einen besseren Lehrer gehabt zu haben. Die Träger der rosa Punkte legten sich unglaublich ins Zeug, so sehr, dass ich nur die Augen verdrehen konnte. Während Jane sich an den Pool begab, besuchte ich den Visualisierungskurs, konnte jedoch nur eine einzige Sache visualisieren: ein dickes Steak mit Sauce béarnaise. Ich esse nie Steak mit Sauce béarnaise, war aber auf einmal regelrecht besessen davon. Yoga, Meditation, Stretching und die Trommelstunden, bei denen ich die Afrikanerin in mir entdeckte, waren meine besonderen Favoriten. Dekonstruierte Anarchie, so lässt sich das Ganze wohl am besten beschreiben. Wer hätte gedacht, dass so viele Menschen so viele verschiedene Vorstellungen von Rhythmus haben können? Wir tanzten uns in fiebrig-ekstatische Trommelsphären und zogen sogar ernsthaft in Erwägung, uns die Kleider vom Leib zu reißen, ehe uns einfiel, dass wir keine Angehörigen eines afrikanischen Stammes waren und der gesunde Menschenverstand wieder einsetzte. Auch die Vorträge über gesunde Ernährung, Stressmanagement, persönliche Lebenspläne und weibliche Gesundheit gefielen mir sehr gut.
Ab dem dritten Tag wurde die Speiseauswahl ein wenig
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